Beginn öffentlicher Brettspielabende
Ende der 70er Jahre entwickelte sich in Deutschland für Erwachsene eine Spielszene für Brettspiele. Einer ihrer "Väter" ist Knut-Michael Wolf (KMW). Er schuf mit seiner unermüdlichen ehrenamtlichen Arbeit eine Basis, vor der später, ab Anfang der 1980er Jahre, viele Akteure der Brettspielbranche profitierten.
Knut-Michael Wolf in der NDR-Fernsehsendung "Bei uns nebenan" von 1980. Das Interview führte Prof. Horst Opaschowski, der Schwiegervater von Jörg Pilawa.
Mit der Herausgabe der Fanzine "Pöppel-Revue" bestand ein erstes kontinuierlich erscheinendes Fachorgan für Brettspiele. In der Volkshochschule Henstedt-Ulzburg bei Hamburg veranstaltete er regelmäßig öffentliche Brettspielabende und schuf damit eine Möglichkeit neue Brettspiele kennenzulernen, den interessierten Menschen zu zeigen, dass die Welt der Brettspiele größer ist, als es "Mensch-ärgere-Dich-nicht", "Monopoly", "Memory" oder "Uno" vermuten lassen.
Knut-Micheal Wolf im Gespräch über seine langjährige Arbeit für die Brettspielbranche
Im Frühjahr 2021 hat Knut-Micheal Wolf in einem 90-minütigen Gespräch mit Jens Junge seine Erinnerungen zu den Anfangstagen der Brettspielszene beschrieben. Link zum Youtube-Video hier. Er hat 1985 seine "Pöppel-Revue" an den Friedhelm-Merz-Verlag in Bonn verkauft, der jetzt in 2022 die SPIEL an die Spielwarenmesse eG verkauft hat.
Knut-Michael Wolf erhält von Dominique Metzler 2016 den Sonderpreis des Deutschen Spielepreises für sein "Lebenswerk", u.a. für die über Jahre ehrenamtlich erstellten und gepflegten Neuheitenlisten zu den Brettspielen in Deutschland, die die SPIEL als ihre Messeliste begriff.
Beginn des Journalismus über Brettspiele
Als erster Spielkritiker, schrieb Eugen Oker (Friedrich Gebhard) für die Wochenzeitung "Die Zeit" in deren Feuilleton über Brettspiele ab 1964. Ihm folgten Bernward Thole und Tom Werneck als Spielejournalisten in der Frankfurter Rundschau und vielen weiteren Zeitungen.
Aufgrund der Intitiative von Tom Werneck (heute Bayerisches Spiele-Archiv, Haar bei München) fand alljährlich parallel zur Spielwarenmesse in Nürnberg bei ihm privat ein Treffen aller Spielejournalisten am Rande der Messe statt. Aus diesen Treffen heraus entstand die Gründung des Vereins Spiel des Jahres e.V., die ab 1979 seitdem ihren Kritikerpreis verleiht. Und diese Spielejournalisten dürsteten danach, nicht nur in Tageszeitungen über neue Spiele zu schreiben, sondern ebenso bei einem Fachmagazin mehr Platz für Hintergründe und umfangreichere Rezensionen zu haben. Diesen Ball griff der Verleger Gerhard Sondermann im März 1979 auf und produzierte die Fachzeitschrift "Spiel". Wo sich natürlich auch Knut-Micheal Wolf als freier Mitarbeiter mit einbrachte und Tom Werneck zusammen mit Dr. Gilbert Obermair die Chefredaktion übernahmen.
Ausgabe 3 (Monat März 1979) der Fachzeitschrift "Spiel"
Die "Spiel" scheiterte an zu hohen Erwartungen, wurde 1980 schon wieder eingestellt. Da ergriff Friedhelm Merz die Chance 1981, mit der Herausgabe der "SpielBox" im damals finanziell schlingernden SPD-Verlag, der das Parteiorgan "Vorwärts" herausgab, mit Brettspielen einen Neustart zu versuchen.
Erste "SpielBox"-Ausgabe Oktober 1981 (Q4, deshalb Nr. 4)
Beginn mit den "Deutschen Spielertagen" 1983
Das Redaktionsteam der "Spiel" hatte wieder eine Heimat und schon bald wünschten sich die am Brettspiel vielseitig interessierten Abonnenten der SpielBox ein "Spielertreffen". Und weil die Verleihung des Kritikerpreises Spiel-des-Jahres in der Volkshochschule in Essen seit 1979 stattfand, wollte man sich auch dort ab 1983 zum Spielen treffen. So fanden ab 1983 die "Deutschen Spielertage" statt, der Vorläufer der Messe "Internationalen Spieltage SPIEL" (s. Plakat), die die Spielwarenmesse eG zum 01.01.2022 mit der Übernahme des Friedhelm-Merz-Verlages gekauft hat. Die SpielBox, die bis heute als Fachmagazin ebenso existiert und die Branche geprägt hat, wurde genau vor 30 Jahren im Jahre 1992 vom Nostheide Verlag übernommen.
Plakat der ersten "Deutschen Spielertage" in Essen 1983 vom Veranstalter "Courir Druck-, Werbe- und Verlags GmbH", dem damaligen Herausgeber der Fachzeitschrift "SpielBox" als 100%-Tochter des SPD-Verlages vom Parteiorgan "Vorwärts" mit klassischem Spielmotiv "Labyrinth"
Die Deutschen Spielertage waren schon 1984 ein so großer Erfolg, dass die Volkshochschule zu klein wurde und Friedhelm Merz mit seiner Lebenspartnerin Rosemarie Geu, der Mutter von Dominique Metzler und bisheriger Eigentümerin der SPIEL, für 1985 eine Kooperation mit der Messe Essen als Veranstaltungsort planten. Seitdem findet die SPIEL auf dem Essener Messegelände jährlich im Herbst statt. Der Erfolg dieser Messe hat über die fast 40 Jahre viele Väter und Mütter.
Spielwarenmesse eG übernimmt die SPIEL in Essen
Im Sommer des Jahres 2021 fragten wir vom Institut für Ludologie: "Quo vadis Brettspielbranche?" (Ebenso auch der Artikel in der "Null Ouvert" mit dem Artikel "Vorbild Gamesbranche", S. 86-95). Wir haben die Geschichte der Branche kurz skizziert, die Entwicklung, die Stärken aber eben auch die Schwächen aufzuzeigen. Eine davon war, dass die Branche keine eigene Publikumsveranstaltung für Brettspiele veranstaltete, die SPIEL immer in privater Hand bei Dominique Metzler blieb. Eine solche jährliche Veranstaltung könnte dazu beitragen, so wie die Games-Branche es mit der Gamescom vorgemacht hat, professionell ihre Interessen zu formulieren und politisch die Relevanz des Kulturgutes Spiel zu verdeutlichen.
In der Spielwarenmesse eG sind die größeren Brettspiel-Verlage Anteilseigner. So ist zu hoffen, dass sie jetzt die Chance ergreifen, für die Branche gemeinsame Ziele zu formulieren und diese professionell zu verfolgen. Die Zeit persönlicher Befindlichkeiten und Jahrzehnte gepflegter individueller Dissonanzen könnte vorbei sein. Der Spielwarenmesse-Vorstandssprecher Christian Ulrich vermittelt mit seinem Zitat in der Pressemittelung Hoffnung: "Wir haben mit der Spielwarenmesse und den Internationalen Spieltagen zwei völlig verschiedene Konzepte, die sich jedoch thematisch stark überschneiden und dadurch auch Synergien schaffen. Mit der SPIEL erweitern wir unsere Verantwortlichkeiten im Spielebereich, ohne den für die Messe typischen Charakter zu verändern."
Nachdem die SPIEL 2020 pandemiebedingt nur digital stattfinden konnte, konnte sie 2021 mit 93.600 Besuchern wieder als Präsenzveranstaltung unter zahlreichen Hygiene- und Sicherheitsauflagen von Dominique Metzler organisiert werden. In den Jahren davor hatte die SPIEL nach Angaben von ihr rund 200.000 Menschen angezogen. Dominique Metzler bleibt vorerst Geschäftsführerin neben dem neuen Geschäftsführer Florian Hess von der Spielwarenmesse eG, obwohl sie der Presseagentur dpa mitteilte, dass der Verkauf aus Altersgründen erfolgte (s. dpa-Meldung bei der SZ). Es bleibt abzuwarten, wie sich das neue Geschäftsführerteam die Arbeit und die Entscheidungskompetenzen aufteilt und ob Metzlers Bonner Büro für dieses Jahr schon aus Nürnberg tatkräftige Unterstützung erhält. Nächster Termin der SPIEL in Essen ist der 6. bis 9. Oktober 2022.