Wie passen Gaming und E-Sport zu HR?
Insbesondere in Deutschland sehen sich Gaming und E-Sport häufig Vorurteilen, politischen Debatten und einem öffentlichen Nischendasein ausgesetzt. Videospieler seien zum Beispiel übergewichtig, sozial isoliert, würden Baller- und Killergames spielen sowie in der Regel Suchtverhalten zeigen. Dass das allessamt Unsinn ist, zeigen verschiedene Studien (s. Artikel im Magazin t3n), etwa an den Universitäten Hamburg, Würzburg, Trondheim und Linz. Im Gegenteil: durch Gaming und E-Sport lassen sich Fähigkeiten verbessern und Fertigkeiten erlernen, die häufig auch im regulären Berufsleben von hoher Relevanz sind. Das kann ich auch ganz persönlich durch einen Erfahrungsbericht verdeutlichen.
Meine Geschichte als Gamer
Angefangen hat bei mir alles Anfang der 1990er Jahre. Wie viele Kinder jener Zeit war mein erster Berührungspunkt der klassische Game Boy von 1989. Also jener kleine, graue Kasten, der die Spiele in einer grün-schwarz pixeligen Darstellung gezeigt hat. Heute unvorstellbar, damals aber wie eine Offenbarungfür uns.
Game Boy Handheld-Konsole von 1989
Mit dem Spiel Super Mario World hat im Prinizip meine Gaming-Zeit begonnen. In schlauchartigen Leveln ging es darum, Monster zu besiegen und die Prinzessin zu retten. Schnell hat sich dann auch eine gewisse Konkurrenz unter den Kindern der Nachbarschaft eingestellt. Wer konnte einzelne Level oder das gesamte Spiel am schnellsten bewältigen? Das war dann mit Training, Analysen und viel Beschäftigung mit Super Mario World außerhalb des eigentlichen Spiels verbunden.
Irgendwann gab es dann die Möglichkeit, zwei Game Boys miteinander zu verlinken, direkt über ein Kabel. Auf diese Weise konnte man zum Beispiel das Game Tetris unmittelbar gegeneinander spielen. Die ersten Nachbarschaftsmeisterschaften entstanden, samt kleiner Trophäen. Über die Jahre hat sich das dann ausgeweitet und verstärkt. Erst mit dem Nintendo Entertainment System (NES), später mit dem Super NES und der ersten Playstation. Darüber hinaus hatte ich mit dem Pentium 75 meinen ersten Computer erhalten, damals das Non-Plus-Ultra, mit dem wir Spiele wie Olympic Summer Games (auch als Winterausgabe) und Stunts spielen konnten, häufig mit einem Wettbewerbs- und Turniercharakter. Zu jener Zeit haben wir in erster Linie Sportgames mit- und gegeneinander gespielt, zumeist bis heute bekannte Titel wie NBA und NHL von Electronic Arts. Schon damals habe ich mittels Gaming vieles gelernt, was ich nicht in der Schule beigebracht bekommen habe, etwa analytisches Denken, Umgang mit Fehler und Niederlagen, Leistungsorientierung und Selbstoptimierung.
Die Jahre 1998 und 1999 sollten das Ganze dann auf eine neue Stufe heben.
Vom Gaming zum E-Sport: RTS und MMORPG
Zwei Spiele haben meinen Weg in den E-Sport geebnet. Zum einen der Klassiker der Echtzeitstrategiespiele (Realtime Strategy, RTS), namentlich Starcraft von Blizzard Entertainment. Das andere Spiel war Counter-Strike (CS). Bis 1999 die Beta Versionen von CS erschienen, hatten wir immer Half-Life, also das Grundspiel zur Modifikation CS gespielt. Dabei hatten wir uns eigene Szenarien gebaut, etwa, dass ein Team auf der Karte Lambda Bunker das Gebäude in der Mitte einnehmen musste, während ein anderes es zu verteidigen hatte. Wenn man so möchte bereits eine einfache, primitive Version von dem, was später CS werden sollte. Diese Szenarien zu entwickeln verlangte uns konzeptionalles Denken und Kreativität ab, schließlich sollte es fair und gleichzeitig fordernd zugehen.
Counter-Strike, abgebildet ist die damals sehr populäre Map cs_siege
CS ist selbstredend kein RTS oder MMORPG (Massenrollenspiel), also kein Spiel, das zu den Genres gehört, die ich erfolgreich im E-Sport spielen durfte. Aber CS hat uns damals endgültig vom reinen Gaming zum E-Sport wechseln lassen. Wir haben in einem örtlichen LAN-Café, also einer lokalen Spielstätte, gegeneinander gespielt. Ein flächendeckendes Internet gab es noch nicht. Daher waren wir froh, mit dem PC-Treffpunkt (der hieß wirklich so) eine gute Möglichkeit zu haben, um Turniere zu veranstalten. Unser Clans, also E-Sport Organisationen, hatten eher martialische Namen, etwa Counter Elite Force oder Chaos Night Lords. Eben das, was heranwachsende Teenager der 1990er-Jahre cool fanden. Irgendwann durfte ich eine dieser Organisationen selbst leiten. Dabei ging es um Menschenführung, Eventplanung, taktisches Vorgehen im Spiel und das sinnvolle Zusammenbringen von Menschen als Team. Dinge, die ich weder in der Schule noch im Studium gelernt habe, sondern vor allem im familiären Umfeld, dem traditionellen Sport - und eben dem E-Sport.
Als jemand, der eher strategisch denkt und spielt, war für mich irgendwann der Reiz von Starcraft wesentlich größer als jener von CS. Also spielte ich ab spätenstens Anfang der 2000er-Jahre fast nur noch RTS-Spiele. Starcraft war dabei der Katalysator, der mich immer mehr zum E-Sport gebracht hat. Wir hatten zuhause inzwischen das schnellste Internet für Privathaushalte, erst ein 56k-Modem (an dieser Stelle "sorry!" an meine Schwestern für das ständige Blockieren der Telefonleitung), später dann DSL. Das war auch gut. In meiner Heimat, konkret Flensburg und Umgebung, fand ich keine Gegner mehr. Ich wollte mich aber stets verbessern und das geht nur, wenn man gegen Menschen spielt, die stärker sind als man selbst. Ich war bereits seit einiger Zeit im QuakeNet unterwegs, damals ein Chat-Server, der speziell für Videospieler gedacht gewesen ist.
Das QuakeNet als Teil des IRC, damals die wichtigste Plattform für Kommunikation im E-Sport
Für viele ist es heute wahrscheinlich schwer vorstellbar, aber diese QuakeNet-Welt war für uns ein essenzieller Bestandteil der täglichen Lebenswirklichkeit. Wir suchten international nach Trainingspartnern, Turnieren und Clans. Das, was wir in Sachen Englisch und anderer Fremdsprachen in der Schulen gelernt hatten war nichts im Vergleich zu dem, was wir durch das IRC vermittelt bekommen haben. Mittels Chatbots sind E-Sport Partien "übertragen" worden. Wir waren super stolz, wenn unsere Nicknamen in den Channels der großen Teams auftauchten. Außerdem gab es in den jeweiligen Channels unterschiedliche Status, die einem verliehen werden konnte. Ein @ für Admins und ein + für jene, die über Voice-Rechte verfügten und damit "wichtiger" waren als die normalen User - oder sich zumindest wichtiger fühlen durften. Persönlich durfte ich für eine Reihe von Organisationen aktiv sein, die heute kaum noch jemand kennt, die damals aber zur Weltspitze gehörten. pro-Gaming, OCRANA, team sambucca und 7ens1on etwa. Es gab internationale Ligen und Turniersysteme, primär jene der Clanbase und später der Electronic Sports League (ESL).
Command & Conquer TW, der letzte Teil, den ich als E-Sportler gespielt habe
Über die Jahre entwickelte sich diese Reise dann immer weiter, samt internationaler Turniere. Alles neben der Schule und später dem Studium. Das Ganze in unterschiedlichen Videospielen, etwa Starcraft, Warcraft 3 und Command & Conquer Tiberium Wars (RTS-Spiele), aber auch in unterschiedlichen Genres (World of Warcraft (WoW), Spieler gegen Spieler (PvP), MMORPG-Genre). In WoW habe ich dann unter anderem Gilden geleitet, also Clans, die in WoW aktiv gewesen sind. Hier hier ging es um Menschenführung, Analysen, Teamdynamiken und vieles mehr:
- Abstimmung im Team
- Präzise und schnelle Kommunikation
- Verständnis für andere Kulturen und Sprachen
- Englischkenntnisse (besser als jedes Schulenglisch)
- Analyse-, Problemlöse- und Anpassungsfähigkeit
- Strategisches, taktisches, innovatives und konzeptionelles Denkvermögen
- Ausdauer und Zielstrebigkeit
- Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt
- Leistungssportgedanke: jeden Tag besser sein zu wollen als den Tag davor
Also Kompetenzen, die für das Berufsleben und die Arbeitswelt essenziell sind. Ich würde heute noch behaupten, dass ich durch Gaming und E-Sport diesbezüglich wesentlich mehr gelernt habe, als durch Studium und sogar Berufserfahrung. Die intrinsische Motivation etwas Komplexes zu tun, ohne dafür die Erbringung einer Hauptpflicht des Gegenübers (Hochschule, Abschluss; Arbeitgeber, Gehalt) zu erwarten, schärft das Wollen und Tun sowie daraus ableitbare Lerneffekte ungemein. Für meinen heutigen Beruf konnte ich dadurch viel mitnehmen.
Meine Arbeit als HR-ler
Ende 2008 habe ich mit dem aktiven E-Sport als Spieler aufgehört. In unterschiedlichen Funktionen, seien es Management, Autorenschaft, Ehrenamt oder Forschung, bin ich der Szene aber immer treugeblieben - bis heute. Diese Zeit und dieses Engagement prägen auch meine Profession als "Personaler".
Als HR Business Partner, HR Projektmanager oder HR in Leitungsfunktion, bin ich mit einer Vielzahl von Aufgaben vertraut, die ich durch meine Erfahrungen aus dem Gaming und dem E-Sport wesentlich leichter, schneller und besser bewältigen kann.
Nach erfolgreichem Wettkampf feiert das E-Sport-Team
Das beginnt mit dem analystischen Denken hinsichtlich Chancen, Nutzen und Risiken. Durch meine E-Sport Zeit, in der ich oft schnell zu guten Ergebnissen kommen musste, weiß ich, wie ich unter Zeitdruck und dennoch präzise Sachverhalte analysieren kann. Das habe ich insbesondere in der Vorbereitung auf Turniere gelernt, etwa durch Meta-, Wettbewerbsmodus- und Gegneranalysen. Aber auch direkt im Spiel, zum Beispiel bei der Herleitung von Gegenmaßnahmen zur Strategie meines Gegners. In der Personalarbeit bedeutet dies, dass bestimmte Analysemuster auch dort sehr gut funktionieren, man denke etwa an die Auswahl von Bewerbern, die Definition von Kennzahlensystemen oder aber das strategische Personalmanagement. Wie erreiche ich welches Ziel - fachlich, zeitlich, messbar und nachhaltig? Fragen, die sich im E-Sport ebenso stellen wie in HR.
Vielleicht das wichtigste Standbein guter Personalarbeit ist die Kommunikation. Das betrifft einerseits die Arbeit im Team, andererseits aber vor allem Aufgaben, die außerhalb des originären Personalbereichs liegen. Es gilt sich mit Schnittstellen abzustimmen, Mitarbeiter und Führungskräfte zu beraten und zu unterstützen, Probleme zu lösen und Projekte umzusetzen. Herausforderungen und Aufgaben, mit denen man sich zum Beispiel auch als Leiter eines Clans oder einer Gilde konfrontiert sieht. Hier gilt es mittels Problemlöse- und Anpassungskompetenzen zu arbeiten, um das Team bestmöglich für die Bewältigung von Herausforderungen, Aufgaben und Hindernissen aufzustellen.
Ohne meine Zeiten im Gaming und E-Sport wäre ich heute nicht der HR-ler, der ich bin. Ich gehe sogar soweit zu sagen, dass ich insbesondere im E-Sport mehr für meinen Job gelernt habe, als durch das Studium oder Berufserfahrung. Das hängt vor allem damit zusammen, dass E-Sport, aber auch Gaming, die schnelle Lösung hochkomplexer Sachverhalte abverlangen. Ständig und immer wieder, mit direkt messbaren Ergebnissen, die auch durch öffentlichen Druck (Szene, Fans, Streaming, Media) gut sein sollten.
Neue Ufer: lvlup!HR als Kombination beider Welten
Vor rund 3,5 Jahren ist aus diesen beiden Leidenschaften, also dem E-Sport und der Personalarbeit, etwas Neues erwachsen. Gemeinsam mit drei Freunden, namtlich Frank Simoneit, Phillip Ebben und Nick Wichert durfte ich mit lvlup!HR ein Start-Up mitgründen, das E-Sport und auch Gaming sehr direkt für die Personalarbeit nutzbar macht. Unser Anspruch:
"lvlup!HR verbindet als Unternehmung die Chancen und Potenziale vom wettbewerbsorientierten Gaming, dem E-Sport, mit den Herausforderungen und Erfordernissen einer modernen Personalarbeit. Darüber hinaus nutzt lvlup!HR das Prinzip des „Homo ludens“, des spielenden Menschen, um so Mehrwerte für Organisationen, Unternehmen, Institutionen und Teams zu schaffen." (lvlupHR.de)
Für mich ein Traum, der wahrgeworden ist, denn auf diese Weise kann ich gleich mehrere meiner Leidenschaften sinnvoll in Einklang bringen. Dabei durften wir mit einer Vielzahl an tollen Menschen, Unternehmen und Organisationen zusammenarbeit.
lvlup!HR E-Sport Assessment Center, hier zur Kompetenzermittlung bei Azubis
Auch diese Tätigkeit wäre ohne meine E-Sport Zeit undenkbar. Schließlich erfordert es ein hohes Maß an intrinsischer Motivation, wenn man gründet. Eine Motivation, die sich bei mir vor allem aus meiner Aktivität als ehemaliger Spieler speist.
Fazit zu Gaming und E-Sport als HR-ler
Die Phänomene E-Sport und Gaming sind in Deutschland längst angekommen. Gaming ist die größte Entertainment-Branche der Welt und auch hierzulande deutlich auf Platz 1 (aktuelle Marktdaten beim game Bundesverband). Der elektronische Sport wiederum ist schon lange keine Randerscheinung mehr. In Deutschland beschäftigen sich rund drei Millionen Menschen intensiv mit dem E-Sport. Menschen, die eher jung, technikaffing, überdurchschnittlich gebildet und mit zahlreichen Kompetenzen ausgestattet sind.
Meine persönliche Geschichte zeigt, was Menschen mitbringen, die aus dem E-Sport kommen. Potenziale, die inzwischen teilweise von Unternehmen gehoben werden. Im Vergleich zu Ländern wie den USA, Südkorea, Schweden, Finnland oder China haben wir hier aber noch einen langen Weg vor uns. Ein Weg, der sich lohnt zu gehen.
Dr. Timo Schöber