Glücksspiele
Gibt es mehr als die Umwelt, die Materie, die wir Menschen sehen, hören, fühlen, riechen und schmecken können? Ist da noch eine geistige Komponente, die unser Leben beeinflusst? Ein übernatürliches Wesen, eine Gottheit? Ist alles Zufall oder gibt es Gestzmäßigkeiten, die Einfluss auf unser Leben haben? Gibt es eine Ordnung in dem Chaos und den Zufälligkeiten? Ein Schicksal, dass für jeden einzelnen Menschen eine Vorbestimmung bereithält?
Der Blick in die Zukunft als Ursprung des Glücksspiels
Seit Jahrtausenden versuchen Menschen mit Hilfe von Schamanen, Wahrsagern, Magiern und Orakeln an die Information heran zu kommen, was denn die so unberechenbare Zukunft bringen möge. Welche glücklichen Zufälle oder harten Schicksalsschläge sieht die Vorsehung für uns vor? Im Lesen von Kaffeesätzen, blutigen Eingeweiden, in die Gegend geworfenen Knochen, dem "Lesen" von Handfalten oder dem Legen von Tarotkarten ist der Ursprung für für Glücksspiele zu sehen. Diese Praktiken führten zum spielerischen Umgang mit dem Schicksal und zu dem Versuch, schnell gewinnbringende Konstellationen zu erzeugen.
Die Vielfalt des Glücksspiels basiert auf den Grundsätzen der Mathematik
Die Vielfalt der Glücksspiele kennt kaum Grenzen. In zahlreichen Gegenstandsbereichen des Spiels ist der Zufall eingewoben. Würfel, Spielkarten, eine Drehscheibe, Ereigniskarten, ein Roulettekessel, beschriebene Loszettel in einer Lostrommel, Kugeln mit Ziffern, verdeckte oder offene Zielscheiben, Wettscheine, Spielautomaten oder die zahlreichen Online Games bilden die Basis für ständig neue Spielangebote mit zufälligen Begebenheiten, die uns Verluste oder Gewinne bescheren, ob mit Spielpunkten oder eben auch echtem Geld. In der Kernmechanik des Glücksspiels gibt es jedoch nichts wirklich Neues. Letztendlich lassen sich die Spielmechaniken rund um den spielerischen Zufall sehr schnell auf die in dieser erfundenen Ordnung implementierten mathematischen Gesetzmäßigkeit reduzieren. Die spielerische "Verpackung" variiert nur ständig. Je undurchsichtiger die Mathematik des Zufalls für den Spieler ist, desto größer ist die Vermutung dieses Menschen, es doch mit einer göttlichen, schicksalhaften Ordnung zu tun zu haben.
Der Gewinn als Anreiz
Die Glücksspiele üben ihren zentralen Reiz über die Möglchkeit aus, einen Gewinn zu erzielen. Dieser Reiz, vielleicht das Schicksal herausfordern zu können, den anscheinend determinierten realen Plan von arm und reich durchkreuzen zu können, unterscheiden die Glücksspiele von den Geschicklichkeitsspielen. Natürlich bestehen zahlreiche Spiele, die beide Komponenten, Glück und Können beinhalten. So streiten sich die Gelehrten seit geraumer Zeit, ob das Pokerspiel nun mehr ein Glücksspiel oder ein Geschicklichkeitsspiel ist.
Erst 1928 legte John von Neumann als Mathematiker einen Vorschlag für eine Kategoriesierung der Spiele mit seiner Spieltheorie vor. Losgelöst von den Spielmitteln, den Spielregeln oder den vorerst undurchsichtigen Spielmechaniken hob er die Spielkonzepte auf die rationale, logische und damit alle Spiele verbindende Ebene der Mathematik. Wenn der Zufall für Gewinn oder Verlust (mit-)entscheidet, so entschlüsselte er die Gesetzmäßikeiten hinter diesem Phänomen. Schon seit Jahrhunderten forderten die jeweiligen Spiele die Neugier der Mathematiker heraus.
Glücksspiel und Kapitalismus
Die Grundlage für unser kapitalistisches Wirtschafts- und Gesellschaftssystem begann im auslaufenden Mittelalter mit der Etablierung der Buchhaltung in Italien. Übernommen haben wir sprachlich die Begriffe "Konto" (ital. Rechnung), "Giro" (ital. Umlauf, Rundfahrt), "Saldo" (ital. fest, festmachen), "Bilanz" (ital. Waage), "Kredit" (ital. glauben) und "Bankrott" ("banca rotta" = zerschlagener Tisch). Luca Pacioli brachte sein Buch "Summa de arithmetica" 1494 heraus, in dem er die "doppelte Buchführung" als Grundlage für die kaufmännische Arbeit beschrieb. Neben dieser Art der Dokumentation von Gewinn und Verlust im unternehmerischen Handeln befasst er sich mit der Frage, wie die Einsätze der Mitspieler gerecht aufgeteilt werden sollten, wenn bei einem entsprechenden Spielstand ein Spiel überraschend vorzeitig abgebrochen werden musste. So wie ein von der Kirche verachtetes illegales Glücksspiel war der Handel über die Weltmeere mit Verlustrisiken und Gewinnchancen verbunden.
Die Symbiose von Mathematik und den Gesetzen des Zufalls
Im deutschsprachigen Raum rechnet man "nach Adam Riese" (Adam Ries, 1492-1559). Er veröffentliche seine drei Standardwerke der Rechenkunst in den Jahren 1518 bis 1550. Jedoch erst der niederländische Mathematiker und Physiker Christiaan Huygens (1629-1695) entwickelte 1657 in seinem Werk "Tractatus de raticiniis in ludo aleae" eine Theorie der Wahrscheinlichkeitsberechnung. Dies tat er aus der Überlegung heraus, Erwartungswerte für die Berechnung von Renten- und Lebensversicherungen festlegen zu können, denn schließlich versuchte man in diesem Gewerbe den Zufall des Lebens und des Todes mit Gesetzmäßigkeiten der großen Zahl Herr zu werden.
Wahrscheinlichkeitsrechnung und Gewinnpläne
Mit dem Erlernen des Umganges mit den kontinuierlichen Funktionen durch die Analyse unendlich vieler kleiner Teilbereiche, der Infinitesimalrechnung, trugen Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) und Isaak Newton (1642-1726) dazu bei, Wahrscheinlichkeiten so berechnen zu können, dass Herrscher in der Lage waren, für Lotterien und das Wetten auf Wettrennen (z.B. Pferdewetten) wirtschaftlich tragfähige Gewinnpläne erstellen zu können. Jacob Bernoulli (1655-1705) beschrieb in seinem Buch "Ars conjectandi" (veröffentlicht 1713) das erste Mal das "Gesetz der großen Zahlen" und Carl Friedrich Gauß (1777-1855) veröffentlichte seine Einsichten zur "Standardnormalverteilung" 1821. Es dauerte bis 1933, bis die komplette moderne Wahrscheinlichkeitstheorie (Stochastik ) durch Andrei Nikolajewitsch Kolmogrogrow (1903-1987) auf ein solides Fundament gestellt wurde.
Geschicklichkeits- und Glücksspiele
Der Zufall ist in der Natur und dann besonders in den durch den menschlichen Geist erfundenen Ordnungen berechenbar. So lassen sich Geschicklichkeits- und Glücksspiele solide definitorisch von einander trennen. Die Gewinnchancen bei Schach, Dame, Halma, Mühle, Go etc. basieren auf geschickten Zügen aus einer einigermaßen gleichen Ausgangsposition (z.B. Unterschied durch ersten Zug). Bei den Glücksspielen ist das "Warten" auf die zufällige Entscheidung im Zentrum des Geschehens. Bei Lotto, Klassenlotterien, Slotmachines, reinen Würfelspielen, Roulette oder Sportwetten habe die Spieler (normalerweise) keinen Einfluss auf den Spielverlauf. Bei Sportwetten haben es so manche Betrüger versucht, Spieler oder Schiedsrichter zu bestechen, um so die Ergebnisse zu manipilieren (s. DFB-Fußball-Wettskandal 2005 in Deutschland).
Mischformen aus Geschicklichkeitsspiel und Glücksspiel sind sehr viele Brett- und Gesellschaftsspiele sowie Kartenspiele, Kartenablege- oder Kartensammelspiele. Auch hier steht ein Gewinnstreben im Vordergrund.
Staatliche Kontrolle von Glücksspielen und Lotterien
Das deutsche Strafgesetzbuch (StGB) verbietet prinzipiell das kommerziell orientierte, öffentliche Glücksspiel (§ 284 und § 287) und stellt es unter Strafe ebenso wie die Werbung dafür. Spielcasinos und Lotterien bedürfen der behördlichen Genehmigung und werden staatlich angeboten (z.B. Lottogesellschaften) oder staatlich kontrolliert (z.B. Spielautomaten).
In Deutschland regelt u.a. der Glücksspielstaatsvertrag der Bundesländer die Möglichkeiten, wer welche Glücksspielangebote erstellen und vertrieben darf. Dabei geht es dem Staat darum, seine Bürger vor der Glücksspiel- und Wettsucht zu beschützen, mit einem eigenen Spielangebot der Bevölkerung ein adäquates Angebot für die Befriedigung des Spieltriebes zu liefern, um damit das unerlaubte Glücksspiel zu verhindern, den Jugend- und Spielerschutz sicherstellen zu können, betrügerische Machenschaften zu verhindern sowie den Sportwettbetrug auszuschließen. Darüber hinaus tragen die staatlichen Lotto- und Toto-Gesellschaften zu einem wesentlichen Teil bei der Sport- und Kulturförderung zur Finanzierung bei.
Zur juristischen Definition und Festlegung eines kommerziell betriebenen Glücksspiels sind das Spieltempo, der Geldeinsatz, die Gewinn- und Verlustchancen sowie der relevante Zufallsanteil entscheidend. Sobald im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt vom Spielanbieter verlangt wird und die Entscheidung über einen Gewinn ganz oder überwiedgend vom Zufall abhängt, handelt es sich um Glücksspiel. Dieses Spiel soll dem Zeitvertrieb und der Unterhaltung dienen. Sobald die Absicht des professionellen Gelderwerbs bei dem Spieler angenommen werden kann, können z.B. Casinos den Spieler ausschließen. Dies funktioniert nur bei einer physischen Präzens.
In der Realität hat heute die staatliche Kontrolle über das Glücksspiel im globalen Kontext von zahlreichen leicht zugänglichen Internetangeboten nur noch eine geringe Einflussmöglichkeit, weil sich sehr viele glücksspielinteressierte Spieler auf den Servern weltweit tummeln und es sehr wohl u.a. professionelle Wett- und Pokerspieler gibt. Die digitale Transformation hat auch die Glücksspielbranche fest im Griff.
Im Bereich der Glücks- und Geldspiele am stationären Automaten (kommunale Lizenzen) sind in Deutschland und Österreich besonders drei Unternehmen zu nennen, die inzwischen ihre jeweiligen Aktiviäten stark erweitert haben:
- Schmidt Gruppe Service GmbH (Spielstation, Bally Wulff, Gamomat, Isios; 48653 Coesfeld)
- Gauselmann AG (Merkur Spielhallen, Spielotheken, Casino, zahlreiche weitere Beteiligungen; 32339 Espelkamp)
- Novomatic AG (Admiral, Novoline, Novostar, Casino, Spielbanken, Sportwetten, Lotterie; A-2352 Gumpoldskirchen, Österreich)
Diese Glücksspielprodukte von privaten Unternehmen werden durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig zugelassen (Bauartzulassung) und kontrolliert, die eng mit dem Spieleausschuss des Bundeskriminalamtes zusammenarbeitet. Rechtsgrundlage ist die Spielverordnung (SpielVO) durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und die Gewerbeordnung.
Der Deutsche Lotto- und Totoblock (DLTB) ist der Zusammenschluss der 16 eigenständigen Lotteriegesellschaften der deutschen Bundesländer. Er führt das staatliche Glücksspielangebot durch (u.a. Lotto am Samstag, Lotto am Mittwoch, Spiel 77, Super 6, Euro-Jackpot, Keno, GlücksSpirale, Oddset Sportwetten). Rechtsgrundlage hier ist der Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) der Bundesländer.
Literaturempfehlung:
Thomas Bronder: "Spiel, Zufall und Kommerz - Theorie und Praxis des Spiels um Geld zwischen Mathematik, Recht und Realität", Springer-Verlag 2016