Das immaterielle sowie das materielle Kulturerbe greifen selbstverständlich sehr eng ineinander. Zum Spielen (immateriell) von Brett- und Kartennspielen oder eben Gesellschaftsspielen bedarf es entsprechender Spielmittel (materiell). An beiden "Fronten" der gesellschaftspolitischen Anerkennung haben es die Spiele seit Jahrzehnten sehr schwer. Spielcafés oder Spieleclubs erhalten von deutschen Finanzämtern über die in der Abgabenordnung beschriebenen Kriterien nicht selbstverständlich ihre Gemeinnützigkeit. Immer braucht es "Umwege". Die Deutsche Nationalbibliothek (dnb) sammelt und archiviert sämtliche deutschsprachige Medienwerke. Alle Bücher, Zeitschriften und gar Musik. Sie sammelt alles, außer Spiele. D.h. Spiele werden als Zeitdokument und als Grundlage für eine solide Aus- und Weiterbildung über eine z.B. Lehr- und Forschungsdatenbank gar nicht ernst genommen. Der folgende Text stellt dazu einige Aktivitäten und die Akteure sowie die ersten Teilerfolge zur Anerkennung von Brettspielen als Kulturform und Medienwerken vor.
Entwicklungsgeschichte zur Anerkennung des Immateriellen Kulturerbes für Brettspiele
Deutschland ist 2013 dem UNESCO-Übereinkommen zur Unterstützung und Förderung des "Immateriellen Kulturerbes" beigetreten. Ziel ist es, das überlieferte Wissen und Können innerhalb eines lebendigen, vielfältigen Erbes erhalten und pflegen zu wollen. In das bundesweite Verzeichnis sind bisher, Stand Herbst 2023, schon einige Kulturformen aufgenommen worden, nämlich 144.
Die Spielregeln
Um auf diese UNESCO-Liste für lebendige, kulturelle Ausdrucksformen zu kommen, gibt es einige Spielregeln. Jedes Bundesland in Deutschland koordiniert die Bewerbungen über die jeweiligen Staatskanzleien der Ministerpräsentinnen und Ministerpräsidenten. Die Staatskanzleien ernennen eine Jury aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die über die Bewerbungen befinden. Es besteht ein Highscore- und Levelsystem. Jedes Bundesland darf maximal vier Projektvorschläge pro Spielrunde auf die Bundesebene heben. Neue Spielrunden gibt es alle zwei Jahre. Die nicht berücksichtigten Bewerbungen könnten dann ggf. als Trostpreis auf eine Landesliste kommen. Die Championsleague wäre dann die internationale Liste der UNESCO.
Logo des "Intangible Cultural Heritage" (ICH) auf internationaler Ebene aus den drei elementaren geografischen Grundformen Kreis, Viereck und Dreieck.
Immaterielles Kulturerbe mit UNESCO-Anerkennung
Die UNESCO (United Nations Educationel, Scientific and Cultural Organization) ist die nach dem II. Weltkrieg 1945 gegründete Weltorganisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur mit Sitz in Paris. Zu ihrer Aufgabe gehört die Förderung ihrer Themenbereiche und die Information und Kommunikation dazu. Die Motivation zur Gründung und zum Betrieb dieser weltweiten Organisation liegt in der Einsicht, dass ein auf ausschließlich politischen und wirtschaftlichen Abmachungen beruhender Friede nicht ausreicht. Ein stabiler Friede beruht auf der geistigen und moralischen Solidarität der Menschheit zueinander und damit der jeweiligen Sympathie der Menschen zueinander.
In der Präambel der UNESCO-Verfassung steht der Leitsatz ganz am Anfang: "Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden." (s. Verfassung UNESCO)
Website der Deutschen UNESCO-Kommission zum Immateriellen Kulturerbe 2023: HIER.
Die "Deutsche Brettspielkultur" als immaterielles Kulturerbe - erste Versuche
Alle zwei Jahre besteht die Chance, Anträge in den Bundesländern einzureichen. Nachdem ein Antragsverfahren in Bayern 2017, 2019 es nur auf die Landesliste und nicht als Empfehlung auf die Bundesliste geschafft hatte und sich in der Stadt Nürnberg kommunal- und kulturpolitisch für die Brettspiel-Szene gravierende Entscheidungen im Rahmen der (letztendlich) verlorenen europäischen Kulturhauptstadtbewerbung für 2025 in 2020 ergeben haben, die ein erneutes Antragsverfahren unmöglich machten, kam selbstverständlich die Frage auf, wie es mit der Deutschen Brettspielkultur auf Bundesebene zu einer Anerkennung kommen kann. Aber die Geschichte von Anfang an.
v.r.n.l: Prof. Dr. Karin Falkenberg, Leiterin des Spielzeigmuseums Nürnberg und bis 2018 auch für das Deutsche Spielearchiv zuständig, hier privat am 27.04.2019 bei der "Redaktionskonferenz" für den zweiten Antrag in Bayern mit Tom Werneck, Bayerisches-Spiele-Archiv und Prof. Dr. Jens Junge, Institut für Ludologie, Berlin
Impulsgeber für einen UNESCO-Antrag: Ferdinand de Cassan
Die Vorarbeit für ein konkretes Antragsverfahren begann mit der Idee von Ferdinand de Cassan (1949-2017) aus Wien. Mit seiner Frau Dagmar hat er über vier Jahrzehnte in Österreich die Brettspielkultur auf- und ausgebaut, das Spielefest in Wien organisiert sowie das Österreichische Spielemuseum privat betrieben. Er sendete noch kurz vor seinem Tod den ersten Implus und hatte Tom Werneck (*1939) als Initiator des jährlichen Journalistentreffs im Rahmen der Nürnberger Spielwarenmesse und damit auch Mitbegründer des Vereins "Spiel des Jahres" sowie Betreiber des Bayerischen Spielearchives auf einer Veranstaltung angesprochen und "beauftragt": "Kümmere Du Dich doch mal um die Anerkennung bei der UNESCO". Tom nahm den Impuls umgehend auf.
Tom Werneck war viele Jahre zusammen mit Bernward Thole (1936-2023) in der Jury "Spiel des Jahres" aktiv. Die Verlage gaben kostenfrei in der Hoffnung und Erwartung, eine Preisauszeichnung erhalten zu können, ihre neusten Spiele jahrelang den Jurymitgliedern zum Spielen und darüber hinaus waren ja die Jurymitglieder Redakteure, Journalisten und damit Spielekritiker für Tageszeitungen oder Fachmagazine, wie der SpielBox. Für diese Tätigkeit benötigten sie Rezensionsexplare, die sie kostenfrei auf den Spieleveranstaltungen mitbekommen haben oder per Post zugeschickt bekamen. Es sammelten sich somit zahlreiche Spiele bei den Jury-Akteuren in ihren privaten Regalen zu Hause an.
Start des Deutschen Spielearchives in Marburg 1985
Beruflich als Medienwissenschaftlier an der Universität Marburg tätig und als Vorsitzender der Jury (1978-1994), kam Bernward Thole auf die Idee, aus dieser privaten Sammlung heraus, das kulturpolitische Manko beheben zu wollen, für die Medienwerke der Brettspiele, die schon damals kein Bestandteil der Deutschen Nationalbibliothek waren, ein Deutsches Spielearchiv als wissenschaftliches Dokumentations- Forschungszentrum in Marburg zu gründen. Am 25. Juni 1985 wurde es dort eröffnet. Die Vorgespräche dazu fanden u.a. im Februar 1985 auf dem Messestand der Fachzeitschrift SpielBox während der Spielwarenmesse in Nürnberg statt (s. Foto).
Messestand der Fachzeitschrift SpielBox auf der Spielwarenmesse im Februar 1985 in Nürnberg kurz vor dem Treffen zur Gründung eins separaten Vereins wo u.a. das Thema "Spielearchiv" besprochen wurde: v.l.n.r. am Tisch Tom Werneck, nur von hinten zu sehen Friedhelm Merz, Rosemarie Geu, vorne im Gespräch Bernward Thole und hinten im Gespräch Jens Junge mit Erwin Glonnegger von Ravensburger
Die Gespräche zur Gründung eines separaten Vereins mit kulturpolitischer Ausrichtung scheiterten. Das Team Thole-Werneck von der Jury konnte sich mit dem damaligen Geschäftsführer Friedhelm Merz der SpielBox und des Vorwärts-Verlages (SPD) und seiner Lebensgefährtin Rosemarie Geu sowie dem bei Ravensburger für Brettspiele verantwortlichen Erwin Glonnegger nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Der Satzungsentwurf vom Juristen Friedhelm Merz fand keine Zustimmung.
So startete Bernward Thole auf der Basis des Vereins "Spiel des Jahres" mit ca. 5.000 Spielen aus seinem Privatbestand die Sammlungs- und Achivarbeit und gründete den separaten Trägerverein "Deutsches Spielearchiv e.V.". Da rund um das Archiv auch die Geschäftsstelle der Jury "Spiel des Jahres" betrieben wurde, bestand bis 2007 eine gewisse Professionalität. Aber die Jury wollte nicht langfirstig mit dem Dauerprojekt der Archivarbeit finanziell belastet sein. Die Zusammenarbeit wurde gekündigt und Bernward Thole trat in Verkaufsverhandlungen mit der Stadt Nürnberg und dem dortigen Spielzeugmuseum wohin er das Archiv 2009 verkaufte. 2010 zog die Sammlung von Marburg in die Frankenmetropole.
Antragsstellung, erster Anlauf 2017
Seit 2014 war Prof. Dr. Karin Falkenberg Leiterin des Spielzeugmuseums und des Deutschen Spielearchives in der Stadt Nürnberg. Tom Werneck wollte die Kräfte bündeln, um gemeinsam über beide Instititionen in Haar bei München und Nürnberg, die sich mit der Bewahrung des (materiellen) Kulturerbes Brettspiel befassen, den Antrag auf die Anerkennung des immateriellen Kulturerbes im Bundesland Bayern zu stellen. Für das Einreichen des Antrages bei der UNESCO-Kommission bedarf es zweier externer Gutachten von Experten. Eines kam vom damaligen Geschäftsführer der Nürnberger Spielwarenmesse, Ernst Kick. Für das zweite zu schreibende Gutachten fiel Tom Werneck der Kaffeebringer von 1985 vom Messestand und damalige Azubi zum Verlagskaufmann bei der SpielBox ein, Jens Junge, der inzwischen in Berlin eine Professur ausübte und 2014 das Institut für Ludologie gegründet hatte. Aber alle Mühe brachte nicht das gewünschte Ergebnis. Die UNESCO-Kommission lehnte ohne Begründung diesen ersten Antrag ab. Aber Spielerinnen und Spieler können mit dem Verlieren umgehen. Man weiß, man muss es noch einmal versuchen und besser werden.
Antragstellung, zweiter Anlauf 2019
In 2018 haben sich in der Stadt Nürnberg kommunal- und kulturpolitisch gravierende, strukturelle Veränderungen ergeben. Das Spielzeugmuseum und das Deutsche Spielearchiv wurden organisatorisch getrennt. Nach den im öffentlichen Dienst relevanten Kriterien der Eignung, Leistung und Befähigung wurde sicherlich die neue Leitung des Deutschen Spielearchives besetzt, aber sie legte andere Prioritäten fest, als einen Antrag zur Anerkennung des Immateriellen Kulturerbes stellen oder unterstützen zu wollen. So engagierte sich Karin Falkenberg in 2019 privat für einen zweiten Antrag gemeinsam mit dem bewährten Redaktionsteam.
Ziel des Antrages war es erneut, die Kulturform des Brettspielens, in das bundesweite Verzeichnis zur Anerkennung des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO zu bekommen. Dieses Mal scheiterte der Antrag nicht komplett, aber die zwei antragstellenden Institutionen wurden nur auf die bayerische Landesliste als "Best Practice" ("Gutes Praxisbeispiel") zur "Förderung von Brettspielen" aufgenommen. Die Empfehlung für das Bundesverzeichnis wurde von Bayern nicht ausgesprochen. Pandemiebedingt fand die Urkundenverleihung durch den bayerischen Finanz- und Heimatminister Albert Füracker (CSU) erst am 23.09.2021 im Spielzeugmuseum und auf dem dortigen Spielplatz im Beisein des Oberbürgermeisters Macus König und des Leisters der Nürnerberger Museen, Dr. Thomas Eser, statt (s. Foto).
Verleihung der UNESCO-Urkunde für das immaterielle Kulturgut "Förderung von Brettspielen" im bayerischen Verzeichnis, (pandemiebedingt erst) am 23.09.2021 aus dem Antrag von 2019
Der detaillierte Bericht über die Anerkennung für das bayerische Landesverzeichnis der UNESCO "Förderung von Brettspielen" ist HIER.
Nächste Antragsverfahren zur Anerkennung der "Deutschen Brettspielkultur" in Thüringen
Die Stadt Altenburg bei Leipzig, aber in Thüringen, verfügt über eine über 500-jährige Spielkartentradition. Der größte private Arbeitgeber in der Stadt ist aktuell die Altenburger-Stralsunder-Spielkartenfabrik (ASS), die inzwischen mehr als 70% ihres Umsatzses mit der Produktion von Brettspielen macht. Im Residenzschloss von Altenburg ist seit 1923 das Spielkartenmuseum untergebracht. Im Jahre 1813 wurde das Kartenspiel "Skat" das erste Mal urkundlich erwähnt, das davon träumt, dass der Feudalismus mit seinem Adel nichts mehr zu sagen hat und zukünftig in einer offenen und aufgeklärten Gesellschaft die Buben, Bauern oder der Unter den Trumpf angeben und nicht mehr die Könige.
Außerdem ist in Altenburg seit Jahren das Team von den Altenburger Spieletagen aktiv. Darüber hinaus ist im Parlament des ehemaligen Herzogtums Sachsen-Altenburg eine Spiele-Erlebniswelt "Yosephinum" geplant, in der das Kulturgut Spiel und die Gameskultur ab 2027 gefeiert werden sollen. Dort investieren Land und Kommune insgesamt 24,7 Mio. Euro in das Thema Spiel.
Die oben erwähnte seit 2018 aktive neue Leitung des Deutschen Spielearchives in Nürnberg hatte Anfang 2020 in der Sitzung des Beirates während der Spielwarenmesse ein neues Sammlungskonzept verkündet und damit davon Abstand genommen, weiterhin die Funktion des "Gedächtnisses" der Deutschen Brettspielbranche sein zu wollen. Mit der Überführung des Österreichischen Spielemuseums, der Sammlung von Ferdinand und Dagmar de Cassen, im September 2020 von Wien nach Altenburg zum dortigen Spielkartenmuseum im Residenzschloss, konnte nun hier der Anspruch an das Kulturgut Spiel weiterhin erfüllt werden. Die Brettspielverlage haben ihre Neuerscheinungen freiwillig statt nach Wien jetzt nach Altenburg geschickt. Was liegt es da näher, nach all den Hindernissen in Bayern und Nürnberg, einen erneuten Antrag in Thüringen über Altenburg einzureichen?
In Thüringen besteht darüber hinaus für das Immaterielle Kulturerbe an der Volkskundlichen Beratungs- und Dokumentationsstelle im Freilichtmuseum Hohenfelden mit Frau Dr. Juliane Stückrad eine kompetente und engagierte Ansprechperson. Der erste Antrag in Thüringen wurde 2021 eingereicht und abgelehnt. Was blieb, als nachzufragen: Warum? Die Jury hat dann einige Gründe angeführt, die sie besser ausformuliert und ergänzt haben wollten, um eine Einreichung auf Bundesebene ermöglichen zu können. Das erprobte Antragsteam machte sich somit an den insgesamt vierten Antrag für 2023. Die Hoffnung stieg, als die Thüringer Staatskanzlei eine Pressemitteilung über 10 akzeptierte Bewerbungen veröffentlicht hatte.
Link zur Thüringer Staatskanzlei mit der Pressemitteilung zur Einreichung von 10 Bewerbungen zum Immateriellen Kulturerbe: HIER.
Außerdem hatte die Staatskanzlei dem TV-Sender MDR aus diesen Einreichungen drei benannt, die das TV-Team doch mal besuchen könne. Die Wahrscheinlichkeit und das Hoffnungsgefühl stiegen weiterhin an.
Berichterstattung zur Nominierung beim MDR
Der MDR hat mit der Sendung "Umschau" vom 14. November 2023 drei der in Thüringen eingereichte Bewerbungen vorgestellt. Link zur Sendung: HIER.
MDR Umschau, Residenzschloss Altenburg, Spielkartenmuseum seit 1923 und Brettspiellsammlung de Cassan als Lehr- und Forschungssammlung des Instituts für Ludologie
Das Brettspiel ist vor allem in den vergangenen Jahrzehnten ein aus Deutschland kommendes Phänomen geworden, das international an Bedeutung gewonnen hat. Mit dem "Spiel des Jahres" von 1995, "Die Siedler von Catan" von Klaus Teuber, haben die Autorenspiele auch für die Verlage einen wichtigen Aufschwung erhalten.
Prof. Dr. Jens Junge, Direktor des Instituts für Ludologie, im Magazinraum des Residenzschlosses Altenburg, mit einem Teil der Brettspielsammlumg de Cassan
Einer der "Kulturträger" für die Deutsche Brettspielkultur sind die "Altenburger Spieletage", wo unzwungen generationsübergreifend, kulturübergreifend Menschen zum gemeinsamen Gesellschaftsspiel regelmäßig zusammenkommen. Dies organsiert seit 2009 Gabriele Orymek mit ihrer Familie und zahlreichen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern.
Gabriele Orymek, langjährige Organisatorin der Altenburger Spieletage und des Mobilen Spielecafés
In Deutschland bestehen aktuell an über 400 Standorten in den unterschiedlichen Regionen Spielcafés, Spieleclubs und Veranstalter von Spielabenden, die regelmäßig zum Spielen in öffentlich zugänglichen Institutionen und Räumen einladen. Wie auch die Initiative "Stadt-Land-spielt" jährlich mit dem "Tag des Gesellschaftsspiels" zur Förderung des Kulturgutes Spiel zeigt. Das gemeinsame Brettspiel findet nicht mehr nur im engsten Familienkreis statt. Neuerscheinungen werden in Gemeinschaft getestet, partnerschaftlich erklärt und schätzen gelernt. Eines der in Planungen befindlichen Gebäude für einen solchen öffentlichen Zugang zu analogen und digitalen Spielen ist das ehemalige Parlamentsgebäude des Herzogtums Sachsen-Altenburg, das Josephinum, das zur Zeit als "Yosephinum" in Altenburg um- und ausgebaut wird und in dem MDR-Beitrag mit erwähnt wird.
Prof. Dr. Jens Junge im Josephinum, dem ehemaligen Parlament des Herzogtums Sachsen-Altenburg, in dem die Spiele-Erlebniswelt "Yosephinum" geplant ist
Link zur geplanten Spiele-Erlebniswelt "Yosephinum": HIER.
Kulturträger für die Deutsche Brettspielkultur: Ehrenamtlich aktive Vereine
In der traditionellen Spielzeugstadt Nürnberg mit ihrem Spielzeugmuseum ist auch der größte deutsche Spieleclub für Brettspiele beheimatet, der Ali-Baba-Spieleclub e.V. mit seinen ca. 1.000 Mitgliedern sowie seinen 11 Regionalverbänden. Der Bundesverband ist im Pellerhaus untergebracht, wo auch das Deutsche Spielearchiv seinen Sitz hat.
Im UNESCO-Landesverzeichnis Bayern für das Immaterielle Kulturerbe sind ab 2021 die zwei Institutionen Spielzeugmuseum (ehemals eins mit dem Deutschen Spielearchiv) und Bayerisches Spiele-Archiv als besondere Orte zur Förderung des Brettspiels aufgeführt, jedoch hat die bayerische Kommission die Deutsche Brettspielkultur nicht für das Bundesverzeichnis vorgeschlagen, wie oben erwähnt.
Mit der expliziten Darstellung der ehrenamtlichen Arbeit eines Spielclubs, wie Ali-Baba, als einen der Träger der Deutschen Brettspielkultur, konnte der UNESCO-Kommission die nicht gewerbliche Tätigkeit eindeutig vermittelt werden. Brettspiele sind auch ein Wirtschaftsfaktor und es gibt kommerziell ausgerichtete Spielmessen und Spielveranstaltungen, wie z.B. die SPIEL Essen, die Spiel doch! in Dortmund oder die Berlin Brettspiel Con die ein wichiger Bestandteil der Brettspielkultur sind, aber leider nicht für die UNESCO ausschlaggebend. Das Ehrenamt muss der Träger sein, nicht ein Geschäftsmodell.
Spieleclub Ali Baba e.V. Nürnberg mit 1. Vorsitzenden Christan Wallisch (1. von rechts stehend) mit Kassenprüfer Dr. Frank Jeschonnek und Vorstandskollegin Gabi Jeschonnek im Kreise der Spielerinnen und Spieler, die sich jeden Montag zum spielen treffen
Link zur Vereinsseite: Ali Baba Spieleclub e.V. aus Nürnberg, Bayern (sowie Köln, Regensburg, Erlangen, Ingolstadt, Hunsrück, Berlin, Stuttgart, Chemnitz, Neubrandenburg).
In der Heimatstadt von Jens Junge, Flensburg, hat Dr. Ulrike Andersen das Spielezeitcafé 2019 in der Angelburger Straße 49 eröffnet. Mit dem Wissen um die Schwierigkeit einer Anerkennung der Gemeinnützigkeit und dem Beispiel der Initiative von Petra Fuchs in Pfarrkirchen (s.u.) wurde ein Trägerverein gegründet, der die Wirkungen des Spielens im Fokus hat und nicht allein den Unterhaltungsaspekt. Auch damit konnte dieser Verein als Träger der Deutschen Brettspielkultur sehr gut im Bewerbungsverfahren zur Anerkennung aufgeführt werden.
"Spielezeitcafé für Generationen und Kulturen e.V." aus Flensburg, mit Dr. Ulrike Andersen, 1. Vorsitzende (vorne in der Mitte), bei der Gründung vom 20. April 2022, Anerkennung der Gemeinnützigkeit vom Finanzamt Flensburg, mit Gründungsmitglied Jens Junge (links im Selfi-Vordergrund) mit Mitgliedsnummer 1
So entstand der Spielezeitcafé für Generationen und Kulturen e.V. aus Flensburg in Schleswig-Holstein.
Im November 2017 gründete sich auf Initiative von Petra Fuchs der Verein Spielecafé der Generationen - Jung und Alt spielt e.V. in Pfarrkirchen in Bayern nach dem Motto: "Spielen verbindet - Spielen bringt Nachbarschaften zueinander - Spielen fördert das gegenseitige Verständnis - Spielen macht Spaß - spielend gegen Einsamkeit!"
Der Verein ist 2019/2020 mit dem Sonderpreis der Bundeskanzlerin Angela Merkel "Start Social - Hilfe für Helfer" ausgezeichnet worden.
Petra Fuchs, 1. Vorsitzende,"Spielecafé der Generationen - Junge und Alt spielt e.V." (gemeinnützig anerkannt) aus Pfarrkirchen, Bayern
In der Laudatio unterstreicht die Bundeskanzlerin, dass Gesellschaftsspiele viel mehr sind, als bloßer Zeitvertreib. Das gemeinsame Spiel festigt den Zusammenhalt.
Damalige Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel mit der Laudatio vom 22.10.2020
Video der Laudatio von Kanzlerin Dr. Angela Merkel zum Spielecafé der Generationen auf Youtube.
Mit dieser prominenten Unterstützung und Würdigung der ehrenamtlichen Arbeit im Spielecafé der Generationen e.V. wurde im UNESCO-Antrag ein weiterer Kulturträger der Deutschen Brettspielkultur stellvertretend für zahlreiche weitere Spielecafés und Vereine vorgestellt.
So wie die deutsche Bundeskanzlerin 2020 in diesem Video die Wirkung und Kraft des Spielens beschreibt, hat die Politik dieses Urphänomen des Menschseins und der Menschheitsentwicklungsgeschichte jahrzehntelang nicht wahrgenommen, gewertschätzt oder auch nur kulturpolitisch anerkannt. Der erste Akteur aus der Brettspielszene, der sich aufschwang, auf der bundespolitischen Ebene und ebenso bei den Vertretern der Landesministerien, die für Kultur und Bildung im bundesdeutschen Föderalismus auch zuständig sind, eine Anerkennung der Kulturform und der Medienwerke zu erreichen, war Reinhold Wittig aus Göttingen.
Reinhlod Wittigs erste Anläufe 1985, um mit der Politik als Spieleautor über das Kulturgut Spiel ins Gespräch zu kommen
Reinhold Wittag (*1937) als Spieleautor und Verleger der Edition Perlhuhn war der Initiator des "Göttinger Spieleautorentreffs", das jährlich seit 1983 stattfindet. Seine Überzeugung von damals gilt noch heute: "Spiel kann Buch".
Tagungsheft zum 1. Spielautorentreff in Götting 1983
An diesem ersten Treffen im Künstlerhaus in Götting nahmen ca. 50 Personen teil, größtenteils "Spieleerfinder" aber auch Spiele-Journalisten (KMW) zum Erfahrungsaustausch teil. Den Bericht zu dieser Veranstaltung verfasst Knut-Michael Wolf, der kurz die Gesprächsthemen zusammenfasste. Alle Spielautoren waren Amateure, niemand konnte vom Spieleerfinden leben (außer Sid Sackson und Alex Randolph), aber alle träumten davon, mit ihren Spielideen bei einem großen Verlag unterkommen zu können, hatten aber Befürchtungen, ihnen könnten die guten Ideen geklaut werden. So kam der Gedanke einer Autoren-Edition auf, eines Autoren-Eigenverlages. Auch beschwerten sich die Autoren schon damals, dass ihre Namen nicht auf den Spieleschachteln mit draufstanden (z.B. alle Krone-Spiele von Wolfgang Kramer hatten kein Nennung des Autors).
Neben Knut-Michael Wolf waren z.B. Helge Andersen, Hajo Bücken, Rainer Gabius, Dirk Hanneforth, Max Kobbert, Wolfgang Kramer, Peter Lemcke, Franz Scholles, Bernward Thole, Klaus Voigt, Tom Werneck und natürlich Reinhold Wittig und Karin Mieth als einladende dabei.
Aus diesen Kontakten, dieser ersten gemeinsam erlebten Stimmungslage für das Kuturgut Spiel und seinen Autoren heraus, kam Reinhold Wittig 1985 auf die Idee, die Verantwortung tragenden Politiker, d.h. die zahlreichen Landeskultusminister und ebenso an drei eigentlich zuständigen Bundesministerien anzuschreiben. In Zentrum dieses Briefes stand der Wunsch nach Anerkennung des Kulturgutes Brettspiel in den jeweiligen Teilbereichen und Zuständigkeiten: "Die Spieleautoren haben bei ihren Bemühungen, das Spielen weg vom Konsum hin zur Kultur zu bringen, wenig Lobby."
Jens Junge, Reinhold Wittig und Joe Nikisch im Februar 2023 in Göttingen
Anschreiben von Reinhold Wittig an die Ministerien vom 01.08.1985 mit der Bitte um mehr Ankennung und Unterstützung, Spiele kulturell aufzuwerten:
Das Schreiben an die Ministerien enthält die Forderungen:
1. Postalisch Spiele mit Büchern gleichzusezten und sie vergünstigt als "Büchersendung" versenden zu dürfen und
2. wie auch bei Büchern den reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7% anwenden zu dürfen.
3. Die Förderung von öffentlichen Spielangeboten ("Spiel-o-theken", später lieber "Ludotheken" genannt, weil die Geldspielanbieter den Begriff der "Spielothek" für sich verwendet haben) mit einem "Spiel-o-theks-Groschen".
4. Öffentliche Förderung von Spiel-Veranstaltungen und Spiele-Autorentreffen analog zu Autorenlesungen.
5. Die Gleichstellung von Spieleautoren (und Illustratoren) mit Schriftstellern und bildenden Künstlern bei der VG Wort und der VG Bild-Kunst.
Antwort des Bundesministers der Finanzen
Aus dem Finanzministerium in Bonn gab es in Bezug auf den Mehrwertsteuerstatz drei Wochen nach Briefeingang vom 22.08.1985 eine ganz klare Antwort: Nein!
Kernaussagen:
a) Kunstgegenstände unterliegen generell dem normalen und nicht dem ermäßigten Steuersatz. Damit auch Brettspiel.
b) Aus der nicht zugesprochenen steuerlichen Vergünstigung für Brettspiele ist keinesfalls eine Aussage über die Definition der Spiele als Konsum- oder oder Kulturgut getroffen."Im übrigen wäre eine Änderung des Umsatzsteuerrechts m.E. nicht das geeignete Mittel, Spiele kulturell aufzuwerten."
c) Eine Ausweitung der Steuervergünstigung für Spiele würde sicherlich Folgeanträge für weitere Freizeitgüter auslösern und damit wäre dies allein aus Haushaltsgründen nicht mit den verbundenen Steuerausfällen für den Staat zu verantworten.
d) Alle anderen Vorschläge zur Aufwertung des Kulturgutes Spiel fallen nicht in die Zuständigkeit des Finanzministeriums.
Komplette Antwort des Bundesministers der Finanzen vom 22. August 1985 im Originalbrief als PDF: HIER.
Antwort des Bundesministers des Innern
Komplette Antwort des Bundesminsters des Innern vom 23. August 1985 im Originalbrief als PDF: HIER.
Antwort des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
Komplette Antwort des Bundesminsters für das Post- und Fernmeldewesen vom 9. September 1985 im Originalbrief als PDF: HIER.
Alle diese Antworten der Ministerien zusammen genommen, haben keine Wirkung gezeigt. Es brauchte eine weitere neue Initiative von Reinhold Wittig. Die ergab sich während der Spielwarenmesse in Nürnberg, wo abends und am nächsten Morgen Spieleautoren mit ihren Unterschriften forderten, dass ihre Namen oben auf der Schachtel eines Brettspiels zu sehen und zu lesen sein müssen. Die sagenumwobene "Bierdeckel-Proklamation". Die Grundlage dafür, dass Autorenspiele als solche auch erkenntlich sind. Diese Initiative führte letztendlich 1991 zur Gründung der "Spiele-Autoren-Zunft" (SAZ).
Die im Brief geforderte öffentliche Unterstützung von Ludotheken und Spiel-Veranstaltungen fand nicht in einem nennenswerten Umfang ab den 1980ern statt. Dies entwickelte sich aus zahlreichen ehrenamtlich agierenden Initiativen bundesweit, die in den Folgejahren zu Spielclubs, Spielcafés und Vereinen führten. Der Grundlage, um bei der UNESCO den Antrag auf die Anerkennung des Immateriellen Kulturerbes "Deutsche Brettspielkultur" stellen zu können.
Immaterielles Kuturerbe UNESCO-Landesliste Thüringen "Deutsche Brettspielkultur" 2024
Am 16. Mai 2024 war es soweit. Die Thüringische Staatskanzlei hat nach Erfurt eingeladen, um die Urkunde in Empfang zu nehmen. Aus Wien, Nürnberg, München, Altenburg und Berlin reisten die Antragsteller an.
Link zur Pressemitteilung "Vier Thüringer Nominierungen für das Bundesweite Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe" der Thüringer Staatskanzlei vom 14.03.2024: HIER.
Link zur Meldung der SPIEL Essen zur Aufnahme der "Deutschen Brettspielkultur" auf die thüringische Landesliste: HIER.
v.l.n.r.: Maria Schranz (Spielefest Wien), Staatssekretärin Tina Beer, Prof. Dr. Karin Falkenberg (Deutsches Spielearchiv Nürnberg bis 2018), Jennifer Kühnold-Engel (Altenburger Spieletage), Gabriele Orymek (Altenburger Spieletage), Sarah-Ann Orymek (Altenburger Spieletage), Christian Wallisch (Ali-Baba-Spieleclub Nürnberg), Walter Schranz (Spielefest Wien), Dagmar de Cassan (Spielefest Wien und Spenderin von 31.000 Brettspielen für Altenburg), Tom Werneck (Bayerisches Spiele-Archiv, Spielekreis Haar), Prof. Dr. Jens Junge (Institut für Ludologie, Berlin und Spielezeitcafé Flensburg) und Michael Schöne (Altenburger Spieletage). Foto: TSK
Ideen- und Impulsgeber des ersten Antrags war Ferdinand de Cassan, der nun den Erfolg der Anerkennung nicht mehr erlebt hat, aber seine Ehefrau Dagmar de Cassan hat erfreut die Glückwünsche der Staatssekretärin in Empfang nehmen können (s. Foto).
Staatssekretärin Tina Beer gratuliert Dagmar de Cassan zur Anerkennung der "Deutschen Brettspielkultur" für die UNESCO-Landesliste Immaterielles Kulturerbe Thüringen. Dagmar hat ihre 31.000 Brettspiele aus Wien dem Institut für Ludologie übertragen, welches damit in Altenburg eine Lehr- und Forschungssammlung für Brettspiele in Kooperation mit dem Spielkartenmuseum von 1923 im Residenzschloss Altenburg betreibt. Links: Christian Wallisch (Ali-Baba-Spieleclub Nürnberg) und rechts: Tom Werneck (Bayerisches Spiele-Archiv und Mitgründer des Vereins Spiel des Jahres 1978). Foto: TSK
Die offizielle Urkunde:
Die Urkunde: "Deutsche Brettspielkultur". Verliehen am 16.05.2024 in Erfurt durch die Staatssekretärin Tina Beer und unterschrieben vom thüringischen Kultusminister Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff. PDF: HIER.
Logo für das Immaterielle Kulturerbe im UNESCO-Landesverzeichnis Thüringen
Das Fachmagazin für Brett- und Gesellschaftsspiele, die spielbox, hat in ihrem Vorwort die Anerkennung "gefeiert" (s. Foto).
Update: Materielles Kulturerbe: Brettspielsammlungen und ein Bundesarchiv
Am 8. August 2024 waren der Oberbürgermeister der Stadt Altenburg, André Neumann und der Direktor des Instituts für Ludologie, Prof. Dr. Jens Junge, bei der Beauftragen der Bundesregierung für Kultur und Medien in Berlin eingeladen, um über den Umgang mit dem materiellen Erbe einen Lösungsansatz zu erarbeiten. Denn zur Pflege des Immateriellen Kulturerbes gehört natürlich auch das von Spieleautorinnen und Spieleautoren sowie von Illistratorinnen und Illustratoren erdachte und gestaltete Medienwerk. Deutschland braucht, auch zur Stärkung des Game-Standortes, ein Bundearchiv für Brettspiele. Die Deutsche Nationalbiliothek archiviert und dokumentiert bis heute keine Spiele. Es gibt bisher keine auf Bundesebene unterstützte und getragene Lehr- und Forschungssammlung für dieses wichgige Kulturgut.
Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung von 2021 ist endlich die Forderung enthalten, analoge Spiele (warum nur die?) in den Sammlungskatalog der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) mit aufzunehmen (Dank an Christian Beiersdorf von der SAZ!). Nach zwei Jahren der fruchtlosen Gespräche mit der DNB ist nun die Zeit reif für eine pragmatische Alternativlösung und die kann die Stadt Altenburg liefern. Jetzt ist es an der Zeit, dass der Deutsche Bundestag mit BKM kulturpolitisch die richtigen Weichen stellt.
Oberbürgermeister der Stadt Altenburg, André Neumann und Direktor des Instituts für Ludologie, Prof. Dr. Jens Junge, bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien in Berlin am 8. August 2024
Update: Der Wunsch, dieses eine Thema aus dem Ampelkoalitionsvertrag umzusetzen, ist auch bei der Hausspitze vorhanden
Auf dem Digitalgipfel der Bundesregerierung in Frankfurt a.M. am 21. Oktober 2024 sprachen die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Claudia Roth und Prof. Dr. Jens Junge über den aktuell stattfindenden Prozess einer realistischen Umsetzung für ein Bundesarchiv für Brettspiele.
Bundesbeauftrage für Kultur und Medien, Claudia Roth und Jens Junge
Noch ist das Ziel nicht erreicht. Wir hoffen, weitere Updates erfolgen.