Die Deutsche Welle (DW) hat in ihrer Sendereihe "fit und gesund" einen excelenten Beitrag "Woher kommt der Spieltrieb?" und ein Interview mit dem Spiele-Experten Jens Junge (sic!) geführt. Kernaussagen, angereichert um einige Kommenare und Links sind in diesem Artikel enthalten:
Wer spielt, wird flexibel
Wer spielt, verschwendet Zeit. Spielende verbringen ihre Zeit in einer eigenen Welt, ohne "etwas zu schaffen", als ob es um alles ginge und eigentlich nichts auf dem Spiel steht. Spielen wirkt wie das Gegenteil von Effizienz, trotzdem tun es alle. Spielen ist Luxus, es trägt nicht umgehend zu unserer Existenzerhaltung bei. Es schafft Verhalten auf Vorrat, Variationsmöglichkeiten, legt den Grundstein für zukünftig richtiges Tun. Spiele machen uns optimistisch, wir lernen, mit Herausforderungen umzugehen, Probleme zu meistern.
Nicht nur Menschen, auch Tiere spielen. Sie trainieren damit Fähigkeiten, die sie für das Überleben brauchen, denn nicht immer reichen dafür starre Instinkte aus. Häufig müssen sie sich flexibel an neue Situationen anpassen, das lernen sie beim Spielen.
Je intelligenter ein Tier, desto mehr spielt es auch. Nirgends scheinen sich Tier- und Menschenkinder ähnlicher, als beim Toben und beim Spielen mit den Phänomenen der Natur und unseren Artgenossen.
Warum spielen Menschen? - Rund um den Globus wird gespielt
Vom ersten Augenblick ihres Lebens an lernen Babys im Spiel, wie die Welt funktioniert, rund um den Globus nach dem gleichen Muster. Als erstes entdecken sie sich selbst und was sie in ihrer kleinen Welt bewirken können. Greifen, schmecken, hören, alles ist neu, alles ist spannend (exploratives Spiel). Mit einem Jahr setzen sie sich erstmals Ziele und sortieren zum Beispiel die Materialien, die sie in der Küche finden. Oder sie lernen später mit Bauklötzen und Legosteinen so hoch zu bauen, wie es geht (Konstruktionsspiel). Bei einem Zweijährigen kann sein Werk ein Flugzeug werder, er konstruiert sich seine eigene Welt.
Spielend in andere Rollen zu schlüpfen beginnt mit drei Jahren (Phantasiespiele mit der Sprachentwicklung und dann die Rollenspiele). Einfache Verkleindungsspiele gibt es zwar auch bei Primaten, aber bei Menschenkindern sind sie aber viel komplexer.
Im Rollenspiel verarbeiten Kinder, was ihnen im Leben passiert. Puppen, Stoftiere und Spielzeuge kommen vielfältig zum Einsatz. Hier sind sie "mächtig" und legen selbst kreativ die Regeln des Spiels fest, denn ohne Regeln geht es nicht. Besonders im Brett- oder Kartenspiel. Wer sich nicht an die Regeln hält, der ist raus. Spätestens ab dem Schulalter wissen Kinder dies und handeln danach, nicht nur im Spiel. Erst jetzt werden Gesellschaftsspiele so richtig interessant.
Mit Spielkompetenzen ausgestattet entseht Kultur
In den ersten Lebensjahren entwickeln sich alle Grundformen für alle weiteren Spiele (Stichwort: Spielkompetenzen). Was Kinder spielen, ist überall ähnlich auf der Welt, doch womit sie spielen, überall anders, denn sie nutzen am allerliebsten das, was ihnen im Alltag begegnet. Doch dieser Alltag lässt Kindern oft immer weniger Raum zum Spielen, besonders in dicht besiedelten Städten mit zahllosen Straßen.
Zu viel Spielzeug beschränkt Kinder in ihrer Phantasie und sie haben immer weniger freie Zeit, werden von ihren Eltern verplant und durchorganisiert. Aber nicht zu spielen bedeutet, kein Gefühl für sich selbst und die Grenzen der anderen zu entwickeln und nicht zu lernen, wie man sich nach einem Streit wieder versöhnt. Denn so entwickelt sich die emotionale Intelligenz. Nirgend wo sonst lassen sich Gefühle so ungehemmt erproben, wie im Spiel.
Ein US-amerikanischer Spielforscher studierte Strafgefangene und stellte fest, viele Gewalttäter hatten in ihrer Kindheit kaum mit anderen gespielt und lernten deshalb nicht, ihre Emotionen zu regulieren. Gewalt, so seine These, kann auch durch ein Spieldefizit ausgelöst werden.
Bei Erwachsenen wird Spielen oft eher als Problem gesehen. Insbesondere dann, wenn es zur Sucht wird (Glücksspiel um Geldeinsätze). Erwachsene mit ausgeprägtem Spielverhalten stoßen bei Außenstehenden eher auf Skepsis. Dabei ist Spielen so viel mehr als ein kindischer Zeitvertreib. Es lehrt uns immer wieder neu, nach welchen Regeln unsere Kultur funktioniert (s. Johan Huizinga: "Homo ludens"). Manche Kulturhistoriker sind gar der Ansicht, dass ohne die Bauklötze keine Architektur entstanden wäre und es ohne spielerisches Probieren keinen Fortschritt gäbe. Wissenschaft, Kultur, Gesellschaft, das ganze Leben ist auf Spiel gebaut.
Woher kommt der Spieltrieb?
Filmbeitrag der Deutschen Welle (DW) vom 4. Dezember 2020 mit diesem (leicht modifizierten) Text (Bericht: Annette Schmaltz; Kamera: Ester Finis; Schnitt: Ute Özergin) und sehr guten, bewegenden, bewegten Bildern:
Link zum gesamten Film (16 Min.): Hier.
Interview mit dem Spiele-Experten Jens Junge:
Link zum Interview (4:10 Min.): Hier.
Die Grundlage dieses Betrages der Deutschen Welle ist die Spielforschung, aus der die Spielwissenschaft mit der Ludologie hervorgeangen ist. Zahlreiche Autoren, Philosophen, Psychologen, Pädagogen, Soziologen, Biologen, Anthropologen etc. haben dazu beigetragen, dass inzwischen das Phänomen Spiel erster genommen wird. Einen Überblick zu den Autoren, die Spieltheorien formuliert haben, liefert diese Seite: Literatur zu Spieltheorien.
Wie sind "Play", "Toy" und "Game" zu unterscheiden? Was ist Spielen? Ein Artikel dazu auf spielen.de.
Einer der ersten pädagogischen Spielpraktiker, der sich auch über Spieltheorie, die Vor- und Nachteile des Spielens Gedanken machte, war Johann Christoph Friedrich GutsMuths. Mit seiner Pädagogik und seinem Buch "Spiele" von 1796 war er seiner Zeit weit voraus. Ein ausführlicher Artikel zu ihm: Hier.