Das Umsetzungsproblem der Brettspielbranche
Die Deutsche Nationalbibliothek sammelt jeden gedruckten Roman, aber keine Spiele (s. Verordnung über die Pflichablieferung vom 17.10.2008, § 4 Einschränkung, Abs. 14. "Spiele"). Es ist zum Verzweifeln. Die Brettspielbranche hat kein Erkenntnisproblem. Sie hat ein Umsetzungsproblem.
Während die Vertreter der digitalen Spiele, der game e.V. – Verband der deutschen Gamesbranche, täglich mit 15 professionellen Mitarbeitern in Berlin Lobbyarbeit betreiben, seit Jahren finanziert durch deren Leitmesse, die Gamescom in Köln, wird die Brettspielbranche über den Geschäftsführer des Deutschen Spielwarenverbandes (DVSI e.V.) aus Budgetgründen nicht mal halbtags nebenbei betreut, geschweige denn, politisch adäquat vertreten.
Die Leitmesse der analogen Brettspielbranche, die SPIEL in Essen, wird seit 1983 privat organisiert, die Erträge wandern seit Jahrzehnten in ein Privatvermögen und werden nicht in den Aufbau professioneller Strukturen für die Brettspielbranche investiert.
Die Brettspiele sind mit ihren Spielmechaniken und Spielkonzepten die Grundlage aller digitalen Spiele. Die Branche hat es bisher nie verstanden, zusammen zu spielen, gemeinsam politische Ziele zu formulieren. Würde sie das tun, könnte das dazu, dass die Alltagskultur des Brettspiels als Kulturgut Spiel auch nur für eine professionelle Lehr- und Forschungssammlung aufbereitet wird, was die Aufgabe eines nationalen Archives wäre und von der Nationalbibliothek finanziert werden könnte. Oder es könnte dazu führen, dass Vereine und Veranstaltungen mit Brett- oder Kartenspielen als gemeinnützig beim Finanzamt anerkannt werden oder gar die verkaufbaren Spiele einen geringeren Mehrwertsteuersatz erhalten, wie Bücher oder Lebensmittel.
Spieler lernen Geduld. Ja, in der Brettspielbranche ist man gewöhnt, dicke Bretter zu bohren, auf allen Ebenen. Verzweifeln ist nicht. Neues Spiel, neues Glück. Das Ziel, das Brettspiel irgendwann auch der Politik als schützenwertes und zu unterstützendes Kulturgut nahe zu bringen, sollte nicht aufgegeben werden. Dazu müsste die Branche endlich einmal die eigenen Kräfte bündeln. Es ist an der Zeit, dem Kulturgut Spiel die Bedeutung zu verschaffen, die es eigentlich verdient.
Kooperative Spiele sind doch gerade richtig angesagt, "in" und wichtig, besonders in den jetzigen und den kommenden Krisenzeiten. Zeit für einen kurzen Vergleich der Entwicklungen, der sicherlich für eine ausführliche Analyse noch umfassender ausfallen müsste. Dabei gilt: Viele Vorfälle und Entscheidungen aus der Vergangenheit prägen die Brettspielbranche bis heute. Versäumnisse und Fehler wiken sich bis heute bitter aus. Auch darum holen wir an dieser Stelle etwas weiter aus.
Das (bisher) verschenkte Potential der Brettspiel-Branche
1. Spiel und Kultur
„Komplexe Kulturen benötigen komplexe Spiele.“, sagte der renommierte Spieleforscher Brian Sutton-Smith (1924-2015) sowie „Das Spiel bringt Synthesen zustande, die das Leben nicht herstellen kann.“ (1978) und bezog sich damals alleinig auf analoge Spiele. Die Jury Spiel des Jahres kürte das kooperative Brettspiel "Pandemic Legacy" 2018 mit einem Sonderpreis, eineinhalb Jahre vor der Corona-Pandemie.
Die Corona-Krise verlangt den Bürgerinnen und Bürgern gesellschaftliche Spielregeln ab, die nicht alle einhalten wollen. Sie fühlen sich wegen eines Stückchens Stoff vor Mund und Nase ihrer Freiheit beraubt? Was passiert denn erst, wenn wir über die noch bedrohlichere Klimakrise reden, Politik und Konsumenten sich über die Freiheit ihres ressourcenfressenden Lebensstils Gedanken machen sollen? Wie fangen Menschen an, sich Fragen von Freiheit und Verantwortung an die Gesellschaft zu stellen? Wie lassen sich hilfreiche Ansätze für die Themen Integration, Anti-Rassismus und Anti-Diskriminierung finden, damit der 1. Artikel des Grundgesetzes, die Würde des Menschen sei unantastbar, besser umgesetzt wird? Diese aktuellen Fragen und die prinzipiellen Fragen zu den Grundphänomenen der Menschheit, zu Natur, Liebe, Arbeit, Macht und Tod. Sie sind Gegenstand der Kultur, des Schauspiels, der Gedankenspiele (Literatur), der Spielfilme und natürlich seit Jahrtausenden der Spiele.
Spiele sind Alltagskultur, lassen Kultur entstehen oder stellen Gesellschaftsphänomene in Frage. Sie sind die Welt im Kleinen, mit all ihren Erscheinungsformen. Sie sind künstliche Herausforderungen, mit denen wir das gesellschaftliche Leben, das Miteinander abbilden, hinterfragen, adaptieren, variieren und gestalten können.
Vor der Industrialisierung, vor der extremen Verzweckung des menschlichen Daseins innerhalb einer auf Effizienz und Produktivität angelegten reinen, wachstumsorientierten Arbeitsethik, war das Spiel der Erwachsenen ein selbstverständlicher Bestandteil des kulturellen Lebens und Empfindens. „Vom frühen Mittelalter bis hin zum Biedermeier, der letzten verspielten Epoche, wäre niemand auf den Gedanken gekommen, dass Spielen den Kindern zu überlassen“ sagte einst (1963) der Spieleautor Sid Sackson (1920-2002).
Spielesammler und Spieleautor Sid Sackson 1969
2. Das Brettspiel als Dialog mit der Welt
Nach dem II. Weltkrieg und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Aufschwung in Nordamerika und Deutschland, dem Erreichen eines vorher ungeahnten Wohlstandsniveaus, eines Babybooms in den 1950er und 1960ern und der Verbreitung und Nutzung von Massenmedien, ist der Beginn einer neuen, durch Erwachsene getragene und vorangetriebene Brettspielszene zu verorten.
Die amerikanische Firma 3M schuf von 1962 bis 1976 mit ihren „Bookshelf“-Spielen (Spiele für das Bücherregal in einem standardisierten Buchschuber) nicht nur einen dekorativen Freizeitspaß für Erwachsene, sondern visualisierte damit als Industrieunternehmen den Anspruch, ein Kulturgut zu erschaffen, das nicht weniger Wert sein kann, als die Literatur. Kurioser Weise waren die Spiele Werbegaben zum Jahreswechsel für gute Kunden. Wegen der großen Nachfrage kam 3M dann darauf, sich als Verlag zu betätigen und die Spiele "Acquire", "Twixt", "Bazzar" oder "Executive Decision" von Sid Sackson (1920-2002) und Alexander (Alex) Randolph (1922-2004) als verkaufbares Produkt zu begreifen. Diese Spiele beinhalteten strategische Herausforderungen, alles andere als Kinderspiele. Beide gelten als erste namhafte Spieleautoren, die aufgrund ihrer dann entstandenen Verhandlungsstärke von den Verlagen auf den Spieleschachteln namentlich genannt wurden. Sie zählen mit ihren Qualitäten und Kompetenzen zu einer modernen Generation von Spieleautoren, wie auch Robert (Bob) Abbott (1933-2018).
Parallel dazu entwickelte sich die digitale Spielebranche spürbar. Erste Spielautomaten wurden in Gaststätten aufgestellt und die Firma Atari produzierte eine Heimkonsole, z.B. mit dem Klassiker "Pong" Anfang der 70er Jahre. Thomas Gottschalk startete seine Fernsehkarriere mit der TV-Sendung "Telespiele". Damit erfuhren die digitalen Spiele eine erste Massenverbreitung und öffneten ebenso für den Commodore 64 oder den Amiga 500 die Türen der Haushalte.
Spielen ist eine unverzichtbare Betätigung des Menschen. Unsere Persönlichkeitsentwicklung, unsere Charakterbildung findet im Spiel statt, ein Leben lang. Die Spiele sind unser Weg, mit der Welt und ihren Erscheinungen in einen Dialog zu treten. Wir erkunden unsere Möglichkeiten, trainieren unsere bereits entwickelten Fähigkeiten, erleben dabei motivierende Lebensfreude. Wir experimentieren mit Einfallsreichtum, Innovationsfreude, Kreativität, Phantasie und Neugier. Wir bringen unsere Gefühle unter Kontrolle, simulieren Situationen, bei denen wir unsere Impulskontrolle erlernen, erlangen eine emotionale Stabilität, üben Frustrationstoleranz und werden geduldiger sowie für unsere Mitmenschen verträglicher, gelassener.
Exploratives Spiel mit den Dingen der Welt, eine Spielkompetenz bis hin zu den Regelspielen (Brett- und Kartenspiele), Dialog mit Natur und Kultur
Für diese Mitmenschen, die wir im Spiel emotional erleben, entwickeln wir Mitgefühl, können uns für sie über einen Erfolg freuen oder sie bei einem Schicksalsschlag im Spiel bedauern. Achtsamkeit für den anderen zu erspüren, Einfühlungsvermögen zu entwickeln, auf Gestik und Mimik zu achten, dabei für das Gegenüber eine Wertschätzung aufzubauen, Respekt zu entwickeln, Integration zu ermöglichen. Macht nicht genau dies Kultur aus? Entstehen nicht so individuelle Referenzsysteme, Normen, Werte, Einstellungen und Glaubenssätze? All das können Spiele. All das macht der Mensch "nebenbei", zweckfrei, aus freien Stücken, mit viel Freude.
Spielrunde, analoges Eintauchen in Spielideen im gemeinsamen Miteinander: "AFK - away from keyboard"
3. Spielekritiker als erste Pioniere in Sachen Kulturgut Spiel
Ab 1964 schrieb Eugen Oker (eigentlich Friedrich Gebhardt, 1919-2006) für die Wochenzeitung "Die Zeit" über Spiele im Feuilleton. Das war etwas ganz Neues und Besonderes. Spiele? Er selbst begann sich "Spielekritiker" (wie Theaterkritiker oder Literaturkritiker) zu nennen und ließ seinen "Beruf" bei Robert Lemke in der TV-Sendung "Was bin ich?" am 26.01.1971 erraten, vor 50 Jahren.
Eugen Oker als Spielekritiker in der Sendung "Was bin ich" von Robert Lembke am 26.01.1971 im WDR
Selbstverständlich konnte er von dieser Tätigkeit allein nicht sein Erwerbseinkommen bestreiten. Durch seinen Journalismus erhielt er jedoch einen Bekanntheitsgrad, der ihm Aufträge für die Übersetzung von Spielregeln bescherte und mit einem weiteren Pseudonym "Siena" konnte er eigene Spiele auf den Markt bringen. Als jedoch der damals verantwortliche Redakteur für das Wochenendjournal, Dr. Gerhard Prause (1926-2004), bemerkte, dass Fritz Gebhardt seine eigenen Spiele in der Zeit auffällig lobte, verlor er seinen Auftrag und Tom Werneck übernahm die Funktion des Spielekritikers in der Zeit.
Eugen Oker wurde anschließend Spiele-Redakteur bei der Frankfurter Rundschau. Aber als die dortige Redakteurin Martina Kische ebeso die mehrfachen Rollen von Fritz Gebhardt erkannte, bekam zukünftig Bernward Thole den Auftrag, der zusammen mit Tom Werneck 25 Jahre im 14-tägigen Wechsel die Brettspielkolumne inhaltlich füllte.
Im Jahre 1978 hatte der WDR-Mitarbeiter Jürgen Herz die Idee einer Auszeichnung für ein "Spiel des Jahres". Die beiden, Bernward Thole und Tom Werneck, setzte diese ab 1979 um, gründeten den Verein der Spielekritiker "Spiel des Jahres", der sich ausschließlich aus Journalisten zusammensetze. Fortan wurde jährlich in der Stadt Essen in der Volkshochschule der Preis mit dem roten Pöppel durch die Jury verliehen, der sich mit seinen Spielempfehlungen an ein breites Publikum wendet, anfangs von der amtierenden SPD-Bundesfamilienministerin Antje Huber (1924-2015) überreicht, die in Essen ihren Wahlkreis hatte.
Das mit der Satzung des Vereins verbundene Ziel, den Wert des Kultur- und Freizeitmediums Brettspiel eine höhere Bedeutung zu vermitteln, ist in den jetzt über 40 Jahren durch seine gleichzeitig vertriebliche Wirkung für die Unternehmen der Branche erreicht worden. Die Marke "Spiel des Jahres" hat sich etabliert und ist bis heute elementar umsatzsteigernd für den Verlag, der diesen Preis erhält. Jedoch hat es noch nicht dazu geführt, dass die Politik das Kulturgut Spiel wirklich ernst nimmt. Der Preis fördert offensichtlich mehr das Wirtschaftsgut Brettspiel und wird deshalb von der Branche mit seinem Lizenzmodell und der Umsatzbeteiligung seit 1989 akzeptiert.
Der zwar auch mühsame Weg der digitalen Spiele zur Anerkennung als Kulturgut begann viel später, war aber bedeutsam wirkungsvoller. Erstmals wurde der Deutsche Computerspielpreis 2009 (also 30 Jahre später als der rote Pöppel) mit attraktiven sechsstelligen Preisgeldern durch eine Expertenjury und Bundespolitiker während einer medienwirksamen Gala verliehen, wie man es vom Fernsehpreis gewohnt war.
Außerdem gab es seit den frühen 1980er PC-Zeitschriftenverlage, die professionelle, ausgebildete Journalisten damit beschäftigten, kontinuierlich über die digitalen Neuerscheinungen zu berichten, Computerspiele zu testen und zu rezensieren. Die Spielekritiker der Brettspielbranche waren und sind bis heute zumeist ehrenamtlich oder überschaubar bezahlte Amateure, Fans, Vielspieler, Sammler oder Blogger und Vlogger mit einer viel geringeren Reichweite.
4. Verlage nah am Wirtschaftsgut Spiel
Größere Mittelständler, aber auch familiär geführte Unternehmen bis hin zu Ein-Mann-Betrieben bilden in Deutschland die Brettspielbranche. Besteht überhaupt eine klar definierbare „Brettspielbranche“, wenn wir uns angucken, dass sämtliche großen Verlage sich eigentlich gar nicht auf die alleinige Produktion von Brettspielen konzentrieren? Bücher, Puzzles, Spielzeug, Experimentierkästen etc. etc. gehören ebenso zum Verlagsprogramm. Brettspiele sind nur ein kleiner Teilbereich in der Branche der Spielwaren (ca. 17%). Diese Struktur ist für viele weitere Aspekte bedeutsam. Aber es sind deutsche Unternehmen, mit Arbeitsplätzen und Steuerzahlern hier vor Ort, die mit einem Kernumsatz in Deutschland internationale Märkte bearbeiten.
Die amerikanischen oder japanischen Unternehmen, die Computerspiele seit Jahren in ihren Ländern produzieren, sehen Deutschland nur als lukratives Absatzgebiet. Gerade einmal 4% des Umsatzes mit digitalen Spielen in Deutschland wird von deutschen Firmen erzielt. Dies nahm der game – Verband der deutschen Games-Branche zum Anlass, jährlich Fördergelder für deutsche Entwicklungsstudios aus Bundesmitteln zu fordern. Jährlich stehen dort seit 2018 über das BMVI 50 Millionen Euro zur Verfügung. Die deutsche Digitalbranche erfährt aufgrund ihrer Schwachstelle eine substantielle Förderung. Die Brettspielverlage hingegen verfügen über kein politisches Gewicht, um z.B. zur Stärkung und zum Ausbau ihrer internationalen Tätigkeiten Fördermittel zum Erhalt und zur Steigerung der Arbeitsplätze in Deutschland staatliche Fördermittel beantragen zu können. Die Brettspielbranche findet in der Politik der Bundesregierung nicht statt, nicht als Wirtschaftsgut und nicht als Kulturgut.
Kennen wir den besten Donald-Zeichner? Mühsam mussten die Comic-Fans recherchieren, bis sie wussten, dass Carl Barks "der" Donaldzeichner war. Dem Disney-Konzern lag der Aufbau seiner eigenen Marke mehr am Herzen, als den Autorennamen der Bildergeschichten, die sie produzieren ließen und verkauften, dem Publikum zu verraten.
Nicht nur große Medienkonzerne haben die Autoren jahrelang verschwiegen. Oder kennen wir die Spieleautoren von Memory oder Malefiz bei Ravensburger? Von Acquire oder Executive Decision bei 3M? Viele Verlage haben es jahrelang versäumt, Autoren als eigenständige Marken aufzubauen. Schlimmer noch, die Spielefabrikanten sahen sich gar nicht als Verlag und behandelten die Autorennamen als Firmengeheimnis. Es brauchte Jahre, bis Autoren, Redakteure und Illustratoren auf einer Spielschachtel genannt wurden.
Um Computerspiele zu erschaffen, braucht es oft ein sehr umfangreiches Team mit einer Vielzahl technisch versierter Experten. Nur selten schafft es ein einzelner "Autor" mit einem sogenannten Indie-Game (als Independent Game Studio), ein massenmarktfähiges Produkt im heiß umkämpften Digitalmarkt zu platzieren (z.B. Minecraft). Trotzdem sind die Computerspiele als kulturell bedeutsames Medium z.B. durch die Stiftung digitale Spielekultur gGmbH kulturpolitisch mit ihren Projekten gut sichtbar. Eine vergleichbare politisch unterstützte Organisation besteht im Brettspielbereich gar nicht und ist auch nicht in Sicht.
5. Ein kraftloser Verband
Die Brettspielbranche hatte jahrelang keinen "Verband", der die gemeinsamen Interessen einer Branche formulieren und nach außen vertreten könnte. Es gab die "Fachgruppe Spiel" mit 18 Mitgliedern. Erst 2014 firmierte der Interessenverband der Spieleverlage in Deutschland sich um in den "Spieleverlage e.V.". Als solcher ist er unverändert Mitglied im "Deutschen Verband der Spielwarenindustrie" (DVSI). Der DVSI-Geschäftsführer ist in Personalunion ebenso teilzeitig Geschäftsführer des Spieleverlage e.V., was seine eingeschränkte Handlungsfähigkeit verdeutlicht.
Als gemeinschaftliche Aktivitäten des Verbandes ist das 2004 gestartete Online-Projekt "Gamemob" bekannt, das 2012 eingestampft wurde sowie die mobile „Twiddle-App“, die nach nur kurzer Dauer ihr schnelles Ende 2017 fand. Dem Verband fehlen die finanziellen Mittel, es gibt kein tragendes Geschäftsmodell und keine zahlungswilligen Mitglieder. Professionell agierende Menschen und wirksame Projekte benötigen Ressourcen und nicht nur eine temporäre Kostenverteilung im Umlageverfahren.
Der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU, Vorläufer des game-Verbandes) hat ab 2002 die Games Convention in Leipzig veranstaltet. Diese Publikumsveranstaltung war so erfolgreich, dass sie ab 2009 mit der Gamescom in die größeren Messehallen nach Köln umzog. Auf der Grundlage der Überschüsse aus dem Messegeschäft und den Mitgliedsbeiträgen beschäftigt die Geschäftsstelle des Verbandes 15 fest angestellte Experten u.a. für Politik, Veranstaltungen, PR und Presse, Marketing und Rechtsfragen. Außerdem verfügt der Verband über eine starke Mitgliederstruktur von Entwicklungsstudios, Publishern, Veranstaltern und Dienstleistern mit über 320 Mitgliedern (s. Gesamtüberblick zur Deutschen Gamesbranche: gamesmap.de).
6. Fanzines und Fachzeitschriften als Fundament
Knut-Michael Wolf (KMW) starte 1977 motiviert durch den Schweizer Walter Luc Haas mit einem Fanzine für Postspiele, aus dem dann die "Pöppel-Revue" hervorging.
Pöppel-Revue von Knut-Michael Wolf, Ausgabe 77, 1983
Viele weitere Brettspiel-Fanzines, Zeitschriften und Publikationen sind in den folgenden Jahren entstanden, zum Beispiel Fairplay. Heute existieren zahlreiche digitale Blogs und Videoformate über Brettspiele aus Herzblut und Liebe zum Hobby.
Fairplay-Ausgabe Nr. 1 von 1987
Der SPD-nahe Verleger Gerhard Sondermann startet ambitioniert mit der Fachzeitschrift SPIEL im März 1979. Gilbert Obermair und Tom Werneck waren für die Inhalte verantwortlich. Sie brachten zum ersten Mal ein für Brettspiele verantwortliches freiberufliches Redaktionsteam in einer Zeitschrift zusammen, das auch nach der Einstellung mit der Februarausgabe 1980 bei dem dann folgenden Start der SpielBox aus dem Bonner Courir-Verlag 1981 im Hause der damaligen traditionsreichen SPD-Mitgliederzeitung "Vorwärts" unter der Führung von Reiner Müller als Chefredakteur weitermachen konnte.
Spiel-Ausgabe Nr. 3, 1979, "Die neue Zeitschrift für fünf (ent)sspannende Stunden"
Geschäftsführer beider Verlage war der ehemalige Redenschreiber von Willy Brandt, Friedhelm Merz (1937-1996). Die SpielBox entwickelte sich zu dem relevantesten Fachmagazin für Spiele aller Art. Die noch anfangs mit integrierten Computer- und Videospielbesprechungen wurden aufgrund einer Redaktionsentscheidung samt gut zahlender Anzeigenkunden aus der Zeitschrift 1984 verbannt, weil die drohende Vereinsamung der spielenden Menschen vor dem Computer nicht unterstützt werden sollte. Danach begann der Aufstieg der PC- und Computerfachzeitschriften aus anderen Verlagen, die sich einzig auf digitale Spiel fokussierten. Die strikte mediale Trennung der analogen und digitalen Spielszenen in Deutschland begann.
SpielBox-Ausgabe 2 / 1983, Titelbild mit "Smurf" (Schlümpfe), dem "ersten Videospiel auch für Kinder"
Als sich Friedhelm Merz mit dem Schatzmeister der SPD, Hans-Jürgen Wischnewski (1922-2005, "Ben Wisch") 1985 überworfen hatte, verließ er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Rosemarie Geu den Vorwärts-Verlag, um seinen eigenen Verlag zu gründen und die "Pöppel Revue" von KMW zu übernehmen. Die SPD verkaufte ihren Zeitschriftentitel SpielBox an den Münchner Huss-Verlag, der ihn 1992 an den Nostheide-Verlag weiterverkaufte, wo bis heute die spielbox als Fachmagazin für Brettspiele erscheint.
Pöppel-Revue, Ausgabe Nr. 1 aus 1999
Diese Vorfälle und Entscheidungen sind bis heute entscheidende Weichenstellungen und der Grund, warum wir hier so weit ausholen, denn die Auswirkungen prägen bis heute die Brettspielbranche.
7. Eine Publikumsmesse als Webfehler für die Branche
Als Treffpunkt und Austausch für interessierte SpielBox-Abonnenten und Leser wurden 1983 und 1984 die Deutschen Spielertage in der Volkshochschule in Essen hauptsächlich vom Team des Vorwärts-Verlages organisiert, um damit eigentlich die SpielBox aufzubauen.
Die Mitglieder der Jury Spiel des Jahres haben den Chefredakteur Reiner Müller der SpielBox darauf angesprochen, ob nicht die Zeitschrift als Leserevent eine Spieletreff am Sonntag nach der Preisverleihung in Essen organisieren könnte. Zögerlich fragte Reiner Müller seinen Geschäftsführer Friedhelm Merz. Dieser hat sofort die Chance erkannt, ein neues Geschäftsmodell zu eröffnen. Drei Jahre später hatte der Vorwärts-Verlag mit dem argo Verlag der SpielBox 600.000 DM Anlauf-Verlust erwirtschaftet (der korrekte Verlust müsste viel höher gewesen sein, weil zahlreiche Vorwärts-Mitarbeiter für die SpielBox ohne Verrechnung arbeiteten). Die SPD trennte sich von ihrem Geschäftsführer Merz, der sich dann 1985 selbständig machte, zusammen mit der Messe Essen die Rechte an den Spielertagen gerichtlich sicherte (gegen die einmalige Zahlung von 50.000 DM an die SPD) und von Knut-Michael Wolf die Pöppel-Revue kaufte, um der SpielBox jetzt Konkurrenz machen zu können, da ja diese Fachzeitschrift für Brettspiele von der SPD an den Huss-Verlag in München zur Schadensbegrenzung verkauft wurde (s. Interview auf Youtube, Brettspielszene Deutschland: Knut-Michael Wolf, 2021, 1:31:45 Std.).
An dieser zentralen Weichenstellung verhielt sich die Fachgruppe Spiel apathisch ruhig. Die erstmals in den Hallen der Messe Essen veranstalteten Spielertage waren ab diesem Zeitpunkt das private Geschäftsmodell von Friedhelm Merz. Keiner ahnte damals, dass seine Stieftochter Dominique Metzler daraus ab 1996 die weltweit größte Publikumsmesse für Gesellschaftsspiele SPIEL formen würde und damit dem Verband die finanzielle und gestalterische Möglichkeit für ein wirksames, professionelles Management verloren ging, das sich um das Kulturgut Spiel gesellschaftspolitisch hätte bemühen können und politische Beachtung erringen können. Es blieb ein Wirtschaftsgut.
Der Branchenverband der digitalen Spiele erkannte 2002 die Möglichkeit, sich mit seiner Branchenmesse ein lukratives Geschäftsmodell zu erschließen (s. oben, 5.). Die Chance und Bedeutung einer Publikumsmesse nicht für sich selbst erkannt zu haben, ist ein kaum wieder gutzumachender Webfehler der Brettspielbranche.
Ob zukünftig Großveranstaltungen und internationale Präsenzmessen als Geschäftsmodell ähnlich gut funktionieren können, wie vor der Pandemie, steht aktuell wohl in den Sternen.
Messe Essen, Blick in Halle 3, die SPIEL vom Friedhelm-Merz-Verlag als die zentrale, internationale Publikumsveranstaltung für Brettspiele
8. Sammlungen für das Kulturgut Spiel
8.1. Deutsches Spielearchiv
Bernward Thole und Tom Werneck hatten als Spielekritiker in den 1970er Jahren angefangen, ihre Brettspielsammlungen mit den Neuerscheinungen dieser Zeit aufzubauen, daraus entstand in Marburg das Deutsche Spielearchiv und in Haar bei München das Bayerische Spielearchiv. Erwin Glonnegger (1925-2016) war der Spiele-Programmleiter bei dem Ravensburger Verlag Otto Maier. Er wird als "Spielepapst" bezeichnet und hat wesentlich dazu beigetragen, dass in Deutschland eine Brettspielszene entstehen konnte, die zur Anerkennung des Spiels als Kulturgut führen sollte.
Eine seiner Maßnahmen war, kostenfreie Rezensionsexemplare an Spielejournalisten über seine Pressereferentin Eva-Maria Helm zu versenden. Viele weitere Verlage taten es ebenso. 2009 verkaufte Bernward Thole das Marburger Archiv an die Stadt Nürnberg als "Deutsches Spielearchiv", damit diese dort die Sammlung weiterpflegt und ausbaut. Unterstützt wurde die Transaktion von der Spielwarenmesse Nürnberg.
Tom Werneck und Jens Junge im Spielzeugmuseum Nürnberg zur Verleihnung der Anerkennung des UNESCO Immateriellen Kulturerbes "Förderung von Brettspielen" im September 2021
8.2. Deutsches SPIELEmuseum
Einen wesentlichen Akzent für die deutsche und internationale Spieleszene setzte 1986 J. Peter Lemcke, Regisseur und langjähriger Chefredakteur, mit der Gründung des "Deutsches SPIELEmuseum e. V. Hamburg" (DSM e. V.) Er brachte seine Sammlung mit 10.000 historischen Spielen aus zehn Jahrhunderten, die er weltweit zusammengetragen hatte, zusammen mit aktuellen Spielen deutscher Spieleverlage (Fördernde Mitglieder) mit ein und eröffnete die weltweit erste Spielstätte in der Besucher mit Brettspielen und elektronischen Spielen täglich in einem Museum spielen konnten.
Peter Lemcke entwickelte über 60 thematische Spieleausstellungen mit Spielen aus allen Lebensgebieten (Ausstellungen u. a. Schweiz, Österreich, England, Niederlande, Ungarn, Südkorea, USA). Darunter die erste Ausstellung eines Spieleautors: Peter Pallat (Hamburg / Essen).
1995 übersiedelte er nach Chemnitz, weil dort der Unternehmer Gert Gauder mit seiner Firma Inbau den ersten Museumsneubau in den "Neuen Ländern" für den DSM e. V. errichtet hatte.
Nach 16 Jahren als Direktor DSM e. V. mit Festivals, wissenschaftlichen Vorlesungen zur Genealogie der Spiele (u. a. Halle, Berlin, Bochum), Tagungen und Workshops (Schwerpunkte: Die Spiele der DDR) Ausstellungen: Potsdam, Hoyerswerder, Chemnitz, übergab er 2011 das DSM e. V. und seine Sammlung (Verkauf und Stiftung) an den Unternehmer Gert Gauder. Seine Sammlung "Lottospiele" ging an "Sachsen Lotto", Leipzig. Die bedeutendste Sammlung in Europa zur Vor- und Frühgeschichte der virtuellen Spiele "Lemcke-Haas" ging ans "Militärhistorischen Museum Dresden". J. Peter Lemcke ist Ehrenvorsitzender DSM e. V. und führt weiterhin die "Deutschen eSport Schulmeisterschaften" durch, die er 2006 gestartet hat.
In Hamburg gründete er mit führenden Wissenschaftlern 2018 "play-eS-HanseSPIEL e. V. Hamburg", mit der Aufgabe, die Verbindung von analogen und digitalen Spielen zu stärken.
Jens Junge und Peter Lemcke in Hamburg an der Elbe im Sommer 2020
8.3. International Game Museum
Anfang der 1980er begann das Ehepaar Dagmar und Ferdinand de Cassan in Österreich in der Nähe von Wien eine Brettspielsammlung aufzubauen, das Österreichische Spielemuseum zu eröffnen und über Jahre das Wiener Spielefest zu organisieren, mit dem Ziel, das Kulturgut Spiel in Österreich zu verbreiten. Nach dem Tode von Ferdinand de Cassan hat seine Frau Dagmar das Museum an das Institut für Ludologie übertragen. Es archiviert, arbeitet die Spiele auf und macht sie der Öffentlichkeit im Residenzschloss in Altenburg zugänglich, in dem seit 1923 das Spielkartenmuseum beheimatet ist.
Dort entsteht das International Game Museum. Betreut wird die Sammlung mit ehrenamtlicher Unterstützung von den Organisatoren der Altenburger Spieletage. Die Brettspielverlage liefern ihre Neuerscheinungen nach Altenburg, um dort das Kulturgut Spiel in Form einer Lehr- und Forschungssammlung aktuell zu halten.
Dagmar de Cassan mit dem Bild ihres verstorbenen Mannes Ferdinand und Jens Junge
Ziele ist, dass diese dezentrale Struktur der Sammlungen und Archive für Brettspiele ihre Kräfte bündelt, eine Kooperation entsteht. Dieser Verbund sollte dann die Aufgabe übernehmen, die eigentlich einer Deutschen Nationalbibliothek zustehen müsste, die Medienerzeugnisse des Kulturgutes Spiel adäquat zu archivieren und zugänglich zu machen.
Die digitalen Spiele haben für den Aufbau einer Datenbank, mit bisher 39.834 Spiele-Einträgen (Stand August 2021), die Internationale Computerspielesammlung auf der Basis einer Anschubfinanzierung in Höhe von 400.000 Euro aus Bundesmitteln aufbauen können (Computerspielemuseum Berlin, USK und DiGaReC).
9. Ehrenamt, Fan-Kultur und die männliche Dominanz
Nur sehr wenige Spieleautoren können von ihrer Autorenschaft ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die regelmäßigen Spieleautorentreffen in Göttingen und Haar bei München zeigen, dass das Entwickeln von Brettspielen das Thema von vielen Autodidakten ist. Gleich, ob als selbständiger Tüftler oder organisiert in der Spiele-Autoren-Zunft (SAZ) sind die Autoren in großer Mehrheit von einem auskömmlichen Einkommen weit entfernt. Das Kulturgut Spiel mit seinen Neuerungen lebt jedoch sehr stark von einem breiten Engagement mitdenkender, kreativer Autorinnen und Autoren.
Die Pflege des gemeinsamen Spielens von Brett- und Kartenspielen erfolgt in der bundesweit großen Anzahl von über 200 regelmäßigen, regionalen Spieleveranstaltungen zumeist auf der Basis von ehrenamtlichem Engagement. Auch auf einer so professionell veranstalteten SPIEL in Essen, einer SPIEL DOCH! in Duisburg oder einer BrettspielCon in Berlin spürt und sieht man das fruchtbare Gemisch aus Profis und Fans, die ihre Kultur mit Leben füllen. Was noch dabei auffällt: Die männliche Dominanz.
Ja, auch der eSport lebt von viel Ehrenamt im Breitensport und im Game Development arbeiten zwar viele Profis, Crunch und Selbstausbeutung bei Indie-Entwicklern sowie eine starke männliche Dominanz sind dort ebenso Auffälligkeiten und zukünftige Herausforderungen.
10. Digitalisierung und Crowdfunding
Die Digitalisierungsinstrumente des analogen Kulturguts Spiel sind schon vor allem durch die Dynamik des Netzes bei der Finanzierung mit Crowdfunding deutlich geworden. Vor allem im Bereich der kleinteiligen Auflagen für Vielspieler wird ersichtlich, wie Marketingkommunikation, Vertrieb und Finanzierung immer mehr zusammenwachsen und das bei einem eigentlich schon stark gesättigten deutschen Markt. Wenn zusätzliches Wachstum entstehen soll (ohne Corona-Pandemie-Betrachtung), dann durch eine strategische, internationale Orientierung.
Auch für die digitalen Spiele sind Crowdfundingkampagnen in den vergangenen zehn Jahren zu einem soliden Finanzierungs- und Vermarktungsweg geworden.
Spielkultur und Gameskultur sind in all ihren Erscheinungsformen vom Unboxing, Streaming, Crowdfunding, Matchmaking etc. zur Selbstverständlichkeit geworden.
Fazit und Ausblick
Viele begeisterte Brettspielfreunde und ehrenamtlich engagierte Menschen in Spielkreisen, Spielcafés und auf Spieltagen bei bundesweit über 200 regionalen, regelmäßigen, öffentlichen Veranstaltungen (vor der Pandemie) und unzähligen privaten Spieleabenden sind sich einig, dass ihre Hobby, ihre Passion zum Kulturgut gehört.
In den Altersgruppen 19 bis 44 Jahre spielen durchschnittlich in Deutschland ca. 50% aller Menschen mindestens einmal im Monat ein Brettspiel. Warum nehmen dies bloß andere Menschen und vor allem Politiker nicht so wahr? Brettspiele sind nicht „Kinderkram“. Das ist seit Jahrtausenden bekannt.
Um auf diese Frage eine Antwort zu versuchen, ist dieser Artikel entstanden. Alle aufgeführten Aspekte sind sicherlich arg subjektiv und bedürfen einer vertiefenden Diskussion. Wir freuen uns über einen konstruktiven, regen Austausch, der dazu beträgt, dem Kulturgut Spiel endlich die Anerkennung und Unterstützung zu gewähren, die es so dringend braucht.
Die Wünsche und Forderungen an die Verantwortlichen in der Brettspielbranche, sich doch endlich im Sinne und zum Vorteil der Branche zu politisieren, sind wahrlich nicht neu. Mit dem Blick auf die Gamesbranche könnte man sich zusammenfassend wünschen:
1. Mit Bundes-, Landes- und Kulturpolitikern in einen regelmäßigen Dialoge treten.
2. Ein Netzwerk aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und Hochschulen aufbauen (Pädagogen, Psychologen, Soziologen, Sozialarbeitern, Ethnologen etc.)
3. Einen Aktionsplan "Spiel als Methode" entwerfen und umsetzen, als Träger dazu eventuell eine Stiftung gründen.
4. Kulturpolitische und finanzielle Transparenz vom Verein Spiel des Jahres e.V. sowie den weiteren Institutionen und Vereine, damit neben den geringen finanziell eingesetzen Mitteln auch der Umfang der bisher zahllosen, ehrenamtlichen Stunden deutlich wird. (Kommentare und Reaktionen zu diesem Wunsch siehe unten)
5. Schaffung eines für das Kulturgut Spiel relevanten Verbandes mit allen in der Branche aktiven Akteuren oder Gründung einer Sparte "Brettspiel" innerhalb des game e.V.
6. Bündelung der Kräfte und Schaffung von Kooperationen, um innerhalb der Branche eine kommunikative Stärke und Relevanz zu entwickeln, die über die Vielspielerszene hinaus wirkt.
7. Bündelung der Kräfte und Schaffung von Kooperationen bei dem Aufbau und dem Betrieb einer international bedeutenden Lehr- und Forschungssammlung für Brett- und Kartenspiele, die mit Sammlungsauftrag und Ausstattung Aufgaben für das Kulturgut Spiel in gleicher Qualität wahrnehmen kann, wie die Deutsche Nationalbibliothek für die anderen Kulturmedien (Bücher etc.).
8. Veranstaltungskonzepte planen, organisieren und realisieren, die dazu beitragen, dass sich ein für die Brettspielbranche tragendes Erlösmodell für eine professionelle sich selbst finanzierende Verbands- und Stiftungsarbeit ergibt, damit eine gesellschaftspolitische und politisch aktive Arbeit durchführbar wird.
Uns ist bewusst, dass in der Brettspielbranche dicke Bretter zu bohren sind. Viele weitere Aspekte, Ursachen und Wirkungszusammenhängen sind in der Kürze dieses Artikels nicht angesprochen worden. Wir freuen uns über einen vertiefenden Austausch im Sinne eines Kulturgutes, das trotz all der Freude, welche es verbreitet, endlich die Bedeutung erlangen sollte, die es aus pädagogischer, psychologischer, soziologischer, anthropologischer etc. Sicht hat.
"Lasst es uns anpacken!"
Viele der hier zusammengestellten Punkte sind keine neue Erkenntnisse. Wie am Anfang erwähnt, besteht kein grundsätzliches Erkenntnisproblem sondern eher ein Umsetzungsproblem. Mit diesem Werk hier, was Du gerade in den Händen hältst oder digital kostenfrei als PDF genießt, erscheint ein vom Verein "Spiel des Jahres" gefördertes Erzeugnis. Ebenso fördern die Spielekritiker erstmalig zwei Doktorandenstellen an der Universität Konstanz bei dem Kollegen und mehrfachen Spielautoren Steffen Bogen (Camel Up etc.). Das ist sehr schön und löblich.
Aber auch schon Platon, Aristoteles, Thomas von Aquin, Johann Comenius, Friedrich Schiller, Johann GutsMuths und die ihm folgenden Reformpädagogen aus der Aufklärung, Fröbel, Montessori, Hahn, Petersen etc. etc. wussten alle, wie wichtig das Spielen ist.
Pädagogen, Philosophen, Psychologen wie Moritz Lazarus, Karl Groos, Sigmund Freud, Friedrich Buytendijk, Gerhard von Kujawa, Daniel Elkonin, Jean Piaget, Urie Bronfenbrenner, Kulturwissenschaftler, Anthropologen, Ethnologen wie Johan Huizinga und Brian Sutton-Smith, Soziologen, wie Roger Caillois, Philosophen des 20. Jahrhunderts, wie Ludwig Wittgenstein, Eugen Fink und Ingeborg Heidemann haben alle bedeutende Bücher über das Phänomen und "Kulturgut Spiel" formuliert.
Der Spieleautor Max Kobbert ("Das verrückte Labyrinth") hat sein Werk "Kulturgut Spiel" 1998 verfasst, das Vorwort der 2. Auflage ist von Karin Falkenberg, Leiterin des Spielzeugmuseums Nürnberg, betitelt mit: "Im Spiel feiert sich das Leben selbst."
Muss man mehr sagen? Anscheinend ja. In der Politik ist bisher all das nicht angekommen. Das Kulturgut Spiel, speziell das Brettspiel, genießt noch keine ausreichende Anerkennung auf der politischen Ebene. Dort sind Spiele anscheinend noch immer reiner Kinderkram oder gar Zeitverschwendung. Lasst es uns anpacken und das ändern.
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Gespräch mit Sasika Esken (SPD) zur Ludologie und zur kulturellen Bedeutung von Spielen.
Saskia Esken und Jens Junge im Gespräch über die Ludologie und die Politik
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Kommentare und Reaktionen zum 4. Wunsch
Die Brettszene ist klein und viele Menschen aus einer engagierten Branche kennen sich. So bleiben so manche Gespräche nicht allein und werden weitergetragen. Der Versuch eines klärenden, direkten Gespräches muss nicht immer von Erfolg gekrönt sein.
Der oben geäußerte Wunsch, dass der Verein "Spiele des Jahres" sein kulturpolitisches Engagement und seine finanziellen Verhältnisse transparenter kommunizieren und damit aktiver umgehen sollte, wurde als Attacke gegen die Souveränität des Vereins verstanden und als journalistisch unsauber gearbeitet. Gleichzeitig wurde mir als Schreiber dieser Zeilen persönliches Interesse unterstellt, dass ich ja nur an das Geld der Jury rankommen wolle (ich habe noch nie einen Förderantrag an die Jury gestellt, wurde jedoch bei einem zugesagten Jury-Projekt als Mitmacher abgelehnt, weil ich "Unternehmer" sei.) Die Jury sei ganz glücklich ohne auf meine Forderungen einzugehen und werde sich nicht offiziell zu meinem Wunsch äußern.
Tja, die Intention sämtlicher von mir oben geschriebener Zeilen war eine ganz andere. Aber Kommunikation ist, was beim Zuhörer ankommt. Also habe ich meine Zeilen oben angepasst, erweitert und schwinge mich auf, diesen Kommentar zu verfassen.
Wenn ich mir von der Jury mehr Transparenz wünsche, dann hat das für mich die oben erwähnten politischen Ziele im Fokus. Ja, es gibt von der Jury Informationen zur fördernden Arbeit der Jury, z.B. auf ihrer Webseite unter "Wir fördern", wo auch eine lange Liste von Institutionen aufgeführt ist, die alle finanzielle Unterstützungen bekommen haben.
Ich wollte gar nicht als Journalist wissen, mit welcher Aufwandsentschädigung die Vorstandsarbeit in der Jury vergütet wird. Diese Kleinteiligkeit sollte gar nicht aus dem Text hervorgehen. Mit meinem Wunsch wollte ich gerne die größeren Ziele aus wissenschaftlicher Sicht verfolgen. Wenn die Brettspielbranche eine Chance haben möchte, kulturpolitisch besser wahrgenommen zu werden, dann hätte die Jury bei entsprechender politischer Arbeit die Möglichkeit, ihre Förderaktivitäten zu multiplizieren. So wie die Gamesbranche für den Deutschen Computerspielpreis das ausgeschüttete Preisgeld mit einem Eigenanteil über staatliche Zuschüsse attraktiv seit Jahren erhöht, könnte dies auch die Jury tun.
So wie bei jedem wissenschaftlichen Forschungsprojekt inzwischen vom Fördermittelgeber ein Eigenanteil gewünscht wird, könnte auch das eingesetzte Geld multipliziert werden, wenn denn doch schon von der Jury ab 2021 zwei Promotionsstellen an der Uni Konstanz finanziert werden.
Zu diesem Zwecke könnte die Jury mehr Transparenz nach außen zeigen, danach suchen, mehr staatliche und damit politische Unterstützung für ihr Anliegen, das Kulturgut Spiel zu fördern, erreichen. Meine Zeilen und mein Wunsch waren FÜR die Jury und ihre Arbeit gedacht. Ankommen ist leider das Gegenteil.
Nur abschließend ein medienwirksames Beispiel, wenn die Beauftrage der Bundesregierung für Digitalisierung, die CSU-Politikerin Dorothee Bär, zur Verleihung des Deutschen Computerspielpreises kam (vor-pandemisch, 2019), dann hatte sie einen roten Teppich, nutzte ihn, um das Kulturgut Computerspiel nicht nur mit finanzieller Unterstützung (EUR 790.000 insgesamt von Politik und Gamesbranche), sondern auch mit provokantem Verhalten und knackigen Worten voranzubringen (s. Foto).
Staatsministerin Dorothee Bär bei der Preisverleihung "Deutscher Computerspielpreis" 2019 in Berlin
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ZEITLEISTE
Ereignisse für die analoge und die digitale Spielebranche:
1950: Erste Spielwarenmesse in Nürnberg
1962: Bookshelf Games von 3M
1964: Erste Spielekritik von Eugen Oker in der ZEIT
1971: Gründung Spielzeugmuseum in Nürnberg
1972: Erster Journalistentreff Nürnberg, systematischer Aufbau einer Spielekritikerszene durch Tom Werneck
1974: Gründung Deutscher Verband der Spielwarenindustrie (DVSI)
1974: Gründung Bundesarbeitsgemeinschaft Deutscher Spielotheken (seit 2005 Verband Deutscher Spielotheken/Ludotheken)
1977: Erstausgabe Pöppel-Revue von Knut-Michael Wolf, Einstellung 2002
1977: TV-Sendung "Telespiele" mit Thomas Gottschalk, Pong
1979: Erstausgabe der Zeitschrift "Spiel", Einstellung 1980
1979: Gründung der Jury "Spiel des Jahres" mit Preisverleihung in der VHS in Essen
1981: Erstausgabe des Magazins "SpielBox" im Courir-Verlag (Vorwärts)
1983: Erstausgabe "Happy Computer", Einstellung 1990
1983: Lesertreffen der SpielBox in der VHS in Essen, aus dem sich später die SPIEL entwickelte
1983: Erstes Göttinger Spieleautorentreffen
1984: Computer- und Videospiele verschwinden aus der SpielBox
1985: Gründung Deutsches Spiele-Archiv, Marburg, durch Bernward Thole
1986: Erstausgabe "Aktueller Software Markt", Einstellung 1995
1986: Gründung Deutsches SPIELEmuseum, Hamburg, durch Peter Lemcke (ab 1994 in Chemnitz)
1987: Erste Ausgabe des Fanzine "Fairplay"
1988: "Bierdeckelproklamation" von Spieleautoren, die auf den Brettspielen genannt werden wollen
1989: Einführung des Lizenzmodells für das Logo "Spiel des Jahres"
1990: Umbenennung "Goldener Pöppel" der Pöppel-Revue in "Deutscher Spielepreis"
1991: Gründung der Spiele-Autoren-Zunft (SAZ)
1992: Erstausgabe der Fachzeitschrift "PC Games"
1994: Gründung der USK
1995: Erstes Spieleautorenstipendium
1996: Gründung Bayerisches Spiele-Archiv in Haar bei München durch Tom Werneck
1997: Eröffnung Computerspielemuseum in Berlin
1997: Erstausgabe der Fachzeitschrift "Gamestar"
1999: Gründung Internationale Spieleerfindermesse in Haar bei München
2000: Gründung des englischsprachigen Webportals "Board Game Geek" (BGG)
2000: Gründung Europäische Spielesammler Gilde (ESG)
2002: Erst Game Convention in Leipzig
2004: Start des Spieleportals "Gamemob" der Fachgruppe Spiel, Abschaltung 2012
2004: Gründung des Bundesverbandes der deutschen Games-Branche, GAME
2005: Gründung des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware; BIU
2006: Erste Deutsche Spieleautorentagung
2007: Erste Deutsche Gamestage, seit 2014 Games Week Berlin
2008: SAZ-Aufnahme in Deutschen Kulturrat
2008: GAME-Aufnahme in Deutschen Kulturrat
2008: Gründung Zentrum für Computerspielforschung (DIGAREC) an der Universität Potsdam
2009: Erster Graf Ludo
2009: Erste Gamescom in Köln
2009: Erster Deutscher Computerspielpreis
2012: Gründung Stiftung Digitalte Spielekultur
2014: Gründung Institut für Ludologie in Berlin
2014: Umfirmierung der Fachgruppe Spiel in Spieleverlage e.V.
2016: Start zum Aufbau der internationalen Computerspielesammlung
2016: Erste GameDevDays in Graz, Österreich
2017: Gründung eSport-Bund Deutschland (ESBD)
2017: Erstausgabe des GAIN Magazins
2018: Zusammenschluss von GAME und BIU zum game
2018: Millionen-Fördermittelzusage für die Gamesbranche durch den Bund
2020: Gründung des International Game Museums Altenburg und Überführung des Österreichischen Spiele-Museums als Sammlung de Cassan
2021: Null Ouvert - Magazin für die analoge Spielkultur: Nullnummer
Dieser Artikel ist in einer ersten gedruckten Version, ohne die hier online leicht durchzuführenden Ergänzungen und Erweiterungen, in dem "Magazin für analoge Spielkultur - Null Ouvert" im Sommer 2021 als "Nullnummer" im Flying Kiwi Verlag erschienen, herausgegeben durch eine Privatinitiative von Sebastian Wenzel und Klemens Franz.
Das Magazin umfasst 100 Seiten und ist als kostenfeies PDF downloadbar: HIER.
In dem Magazin enthalten sind folgende Artikel:
1. Kulturerbe Spiel (Vorwort von Sebastian Wenzel, mit Skataufgabe)
2. Mörderisches Wimmelbild (Kurzvorstellung des Spiel des Jahres 2021: "MicroMacro")
3. Dr. Melissa Rogerson: "Analoge Spiele - zwei Worte, viele Probleme"
4. Sebastian Wenzel: "Annalena Baerbock - Politik darf kein Spiel sein"
5. Synes Ernst: "Ausschreibung mit unmöglichen Vorgaben"
6. Hilko Drude: "Black lives matter trifft Spieleszene"
7. Sebastian Wenzel: "Spielkarten gegen Sexismus, Rassismus und Stigmatisierung"
8. Philippe Evrard dokumentiert einige philosophische Aussagen vom Spielerfinder Alexander Randolph (1922-2004) aus dem Buch "Die Sonnenseite - Fragmente aus dem Leben eines Spieleerfinders" (2012)
9. Anna Klara und Lukas Boch: "Historische Aufgabe - Brettspiele für die Geschichtswissenschaft"
10. Dr. Ulrich Schädler: "Vergessene Spiele - Für immer verloren oder noch zu retten?"
11. Veronika Kocher: "Pente Grammai - Altes Spiel, neue Erkenntnisse"
12. Petra Fuchs und Daniela Behrens: "Für jung und alt"
13. Sebastian Wenzel: "Wir Spielekritiker, Expertinnen und Scharlatane"
14. Georgios Panagiotidis: "Eine Odyssee: Influencer, Kritikerinnen und ihre Rezensionsexemplare"
15. Klemens Franz: "Visuelles Babylon"
16. Prof. Dr. Jens Junge: "Vorbild Gamesbranche" (s. oben: "Quo Vadis Brettspiel-Branche")