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Moritz Lazarus (1824-1903): „Über die Reize des Spiels“ von 1883

Prof. Dr. Moritz Lazarus (1824-1903) ist einer der Begründer der Spielwissenschaften mit seinem Buch "Über die Reize des Spiels" (1883) . Als Psychologe, Philosoph und Völkerkundler gilt er innerhalb der Spieltheorien als Autor der Erholungs- und Entspannungstheorie. Mit seinem Kulturansatz fungierte er auch als Impulsgeber für Johan Huizinga (1872-1945) und sein Standardwerk "Homo ludens" (1938).

Prof. Dr. Moritz Lazarus (geboren als Moses Lazarus) war ein deutscher Psychologe. Er absolvierte eine kaufmännische Lehre in Posen und studierte anschließend Philosophie, Geschichte und Philologie an der Universität Berlin (heute Humboldt-Universität). 1850 veröffentlichte er seine Schrift „Über den Begriff und die Möglichkeit einer Völkerpsychologie als Wissenschaft“. Ab 1862 war er an der Universität Bern als erster Professor für Psychologie und Völkerpsychologie (Völkerkunde, Sozialpsychologie, Kulturpsychologie) mit jüdischen Wurzeln aktiv. 1867 ging er nach Berlin als Professor für Philosophie zurück. Lazarus setzte sich entschieden für die Rechte des Judentums in Deutschland ein.

Aus seinen allgemeinen Überlegungen zur Psychologie heraus und nach über 20 Jahren als Dozent befasst sich Moritz Lazarus mit dem Thema des Spiels. Er ist damit einer der Wegbereiter für Johan Huizingas (1872 -1945) Kulturtheorie, die er mit dem Erklärungsmodell des „Homo ludens“ zusammenfasst. Lazarus umreißt den Begriff des Spiels als Psychologe sehr weit, der sich mit dem Individuum befasst und betrachtet in seinem Büchlein „Über die Reize des Spiels“ (177 Seiten) die „Zufalls- und Verstandesspiele“, die „Übungsspiele“ sowie die „Schauspiele, insbesondere der Kunst“ und damit auch die Musikspiele.

Moritz Lazarus (1883): Über die Reize des Spiels
Moritz Lazarus: "Über die Reize des Spiels", 1883

Ansatz zur Spieltheorie: Erholung von der Arbeit

Aus spielwissenschaftlicher Sicht formuliert er damit die Feststellung Friedrich Schillers (1759-1805):  „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ als einer der ersten Psychologen erklärend und hilfreich mit dem Blick auf mehrere Spielformen. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass das Spiel wesentlich zur Erholung des Menschen beiträgt (Arbeitserholungstheorie): „Die Erholung nämlich kann außer jener mittleren der Verstandesspiele entweder eine rein abspannende, oder eine erhebende sein: jene, wenn der Mensch sich einem stumpfen Sinnengenuß oder einem blöden Nichtsthun hingiebt; diese, wenn er eine zwar leichte und freie, aber den Geist dennoch anregende und bewegende Thätigkeit aufsucht.“ (s. S. 174)

Mit dieser Beschreibung weist Lazarus auf den von Huizinga benannten „Magic Circle“ hin, in den Spielende eintreten, wenn sie spielen. Sie treten dann aus der „Wirklichkeit“ heraus, um in eine Spielwirklichkeit einzutauchen. Das reine Spiel wird jedoch von Lazarus zielführend „verzweckt“, es dient der notwendigen Erholung und Entspannung, so wie der Schlaf, es befriedigt das menschliche Verlangen, sich nach einer mühseligen Arbeit zu regenerieren.

Spiel als Methode der Psychologie

Lazarus befasst sich auch mit dem menschlichen Grundphänomen des Spiels, um es als eine Methode des Psychologen zu begreifen. Da sein Buch wohl nur in einer geringen Auflage erschienen ist, in vielen Bibliotheken als Basiswerk der Spielwissenschaften fehlt und auch über das Antiquariat kaum zu beziehen ist, zitieren wir an dieser Stelle gerne sehr ausführlich, denn seine Ausführungen beinhalten schon 1883 elementare Grundlagen der inter- und transdisziplinären Spielwissenschaften.

In dem Vorwort beschreibt er seinen Auslöser, sein Motiv, warum er sich als Wissenschaftler der Psychologie mit dem Spiel befasst:

„Der Psycholog hat bei seiner Arbeit einen sauren Stand. Zunächst gewinnt er schwer die Neigung des Publikums, ihm auf den Wegen seiner Forschung willig zu folgen. Man muß schon in psychologischer Analyse einigermaßen geschult sein, man muß mindestens das Bedürfnis derselben zuweilen lebhaft empfunden haben, um seine Aufgabe oder Leistung zu würdigen. Besser ist der Naturforscher auf dem Gebiete der körperlichen Erscheinungen gestellt. Jedermann kennt den konkreten Körper, den jener analysiert; aber jedermann weiß, daß er die elementaren Bestandteile desselben nicht kennt, bis die Wissenschaft ihre Kunst der Zerlegung daran geübt hat.“ (s. S. III)

Das Ganze, die Summe ist mehr als ihre Einzelteile

Die Naturwissenschaft zerlegt das Objekt der Betrachtung, um Erkenntnisse und Erklärungen liefern zu können. Der Psychologe hingegen ist darauf angewiesen, das Ganze sowie das Zusammenspiel der zahlreichen einzelnen Teile und ihre Bedeutung, ihren Einfluss zu betrachten. Wobei er nicht sehr optimistisch klingt, wenn es um diese Erkenntnisse geht:

„Das Selbstbewußtsein über die eigenen, inneren Vorgänge, das vorher dunkel und unbestimmt war, gerät sofort in eine Selbsttäuschung, wenn man es aufklärt.“ (s. S. IV)

Die Inhalte unserer sich so mannigfach wandelnden Vorstellungen über die gleichen Dinge vollziehen sich fortwährend mit einer Verschmelzung des Wortes und unserer sich verändernden Bedeutung mit demselben.

„Denn die Wörter, als Wörter in ihrem Laut und ihrer allgemeinsten Beziehung auf die Sache sind gleich bleibend, durchlaufen in Bezug auf ihre Bedeutung parallel der ganzen geistigen Entwicklung eines Menschen eine weite Bahn; sie umspannen eine ungemessene Summe von Verschiedenheiten der Art, des Grades und des Maßes ihrer eigentlichen und ihrer bildlichen Bedeutung. Langsam und spärlich – dennoch breit und mannigfaltig entwickelt sich unsere Erkenntnis, unsere Bildung, unser Wissen; aber die Namen der Dinge, die wir erkennen sollen und wollen, haben wir allermeist sehr früh gehört und gesprochen.“ (s. S. V)

Am Beispiel des Wortes „Vater“ zeigt Lazarus den Bedeutungswandel innerhalb eines Lebens, einer menschlichen Entwicklung vom zweijährigen Kind bis zum Lebensende. Diese Veränderungen verdeutlichen den spielerischen Charakter der von uns Menschen verwendeten Sprachen. Ein Ding ist nicht immer nur ein Ding mit gleichbleibender Bedeutung. In dem Wort „Vater“ verschmelzen im Individuum mehrere Vorstellungen und Erfahrungen. Lazarus postuliert, dass es dem einzelnen Menschen äußerst schwer fällt, diese Verschmelzungen wieder aufzulösen, dass es jedoch den Dichtern gelingt: „Denn diese können überhaupt zweierlei Formen desselben Inhaltes oder zweierlei Gedanken über dieselbe Sache hegen, nämlich wie sie ihn selbst und wie die Personengebilde ihrer Phantasie ihn anschauen. Sie sehen – als Dichter – mit den eigenen Augen und doch mit den Augen anderer.“ (s. S. VI)

Gedankenspiele und  Phantasiespiele bilden die Grundlage, schaffen die Spielkompetenz, um sich innerhalb von gesellschaftlichen Rollenspielen als Individuum zurecht zu finden.

„Wie wichtig diese Frage für die Pädagogik ist, liegt auf der Hand; denn diese bedarf des vollen und klaren Blickes in die Kinderseele. … Dazu kommt nun noch, daß man insbesondere die Berechtigung der Analyse derjenigen psychischen Zustände anzweifelt, welche den Genuß, das Behagen und Vergnügen, die Lust an der Freude des Lebens ausmachen.“ (s. S. VI)

Der von Lazarus identifizierte Zweifel an den Spielen und deren Erforschung, weil sie ohnehin nur sinnlose Zeitverwendung wären, sie „nur“ dem Vergnügen dienen, besteht zuweilen bis heute. Das Spiel mit seinen lebensvollen Empfindungen zu analysieren, ist für Lazarus förderlich:

„Zur Steuer der Wahrheit muß ich indessen auch die Thatsache hervorheben, daß die Quelle lebensvoller Empfindung durch die Fassung in Gedanken viel eher befestigt, als geschädigt wird. … Der Psycholog leidet viel mehr von der technischen Schwierigkeit als von dem nachteiligen Erfolg der Untersuchung. Um es wirklich analysieren zu können, muß er das Leben empfinden. … Naives Genießen und Analyse des Genusses bildet gar nicht den Gegensatz.“ (s. S. VIII)

Das "wirkliche innere Leben" als Aufgabe des Psychologen

Lazarus definiert zum Abschluss seines Vorworts die Aufgabe des Psychologen:

„Der Psycholog aber sucht das wirkliche innere Leben wirklich zu durchdringen; er läßt es in seinem Wesen und Wert bestehen, aber in den wirklichen Vorgängen mit ihren Theilen und Bedingungen erkennbar werden; das Feste wird transparent.“ (s. S. IX)

Kulturelle Vielfalt der Spiele

Somit bilden für ihn die Spiele einen höchst anziehenden Stoff für die psychologischen Untersuchungen. Spiel wird für ihn als ganzheitliche Methode interessant. Warum sich die Wissenschaft, auch über die Psychologie hinaus, mit dem Kulturgut Spiel befassen sollte formuliert er schon 1883 so:

„Die äußere und natürliche Anziehung der Spiele für die Forschung ergiebt sich aber schon aus dem breiten Raum, den sie im Leben der Menschen einnehmen. Der Begriff des Spiels ist, wie die Geschichte der Völker, der Sprachen und der Theorieen beweist, ungemein elastisch; aber auch wenn man an das Spiel nur im engsten und eigentlichen Sinne des Wortes denkt, an Ball- und Billiard-, an Karten- und Kegel-, an Brett- und Schachspiele, füllen sie bei den meisten Menschen von der Kindheit bis zum Greisenalter einen beträchtlichen Teil der Lebenszeit aus. Für viele sind sie der Inhalt aller Muße und Erholung und bilden dadurch einen wesentlichen Teil des Lebensgenusses.
Wer also seinen fragenden Blick auf das Ganze des menschliche Lebens richtet, dem kann sich das Spiel nicht entziehen, und schon die bloße Berechnung des statischen Anteils am Dasein muß ihn zunächst mit Staunen erfüllen.“
(s. S. 1-2)

Das Spiel bedarf als Wissenschaft einer höheren Aufmerksamkeit

Lazarus zählte die in deutscher Sprache erschienen Bücher zum Thema „Gesundheit“ und „Diätetik“ in den Jahren 1857-1861, er kam auf 68, jedoch erschienen in gleicher Zeit 86 Schriften zu Spielen. In der Zeit von 1862-1865 erschienen zur Diätetik 48 Bücher, zu Spielen 77. Die Zeit von 1871 bis 1875 lieferte wiederum 48 Werke zur Diätetik, aber 63 zu Spielen. Nur in den Jahren 1866-1870 kommt die Spielliteratur auf nur 62 Titel und die diätetischen Titel auf 118, weil in diesen Jahren die Impffrage einen polemischen und der Vegetarianismus einen propagandistischen Charakter einnahmen. Zum Abschluss weist Lazarus darauf hin, dass er bei seinen Zählungen zur Spielliteratur die Werke der Jugendspiele, die Spiele der Fröbelschen Methode zur Reformpädagogik, die der Tanzkunst und die Rätselbücher nicht berücksichtigt hat und außerdem seit dem Mittelalter, mit der Erfindung der Buchdruckkunst, eine reiche Sammlung von Schriften über Spiel und sogar über Schach entstanden sind. (vgl. S. 5f.)

Zur weiteren Untermauerung seiner Auffassung, dem Phänomen Spiel mehr Aufmerksamkeit und Bedeutung zu schenken, führt Lazarus den Philosophen und Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibnitz (1646-1716) zum Thema Spiele an: „…weil sie das Denken befördern.“ sowie das englischen Sprichwort: „All work and no play makes Jack a dull boy – Immer nur Arbeit und kein Spiel macht aus Hans einen dummen Jungen.“ Noch tiefer in den Kern der Sache stößt der Schriftsteller Jean Paul (1763-1825) nach Lazarus vor: „Der Mensch muß Spaß verstehen, das heißt Ernst.“ Dazu Lazarus: „Den Spaß, den wir machen und den uns das Leben macht, müssen wir verstehen, wenn wir den Ernst des Lebens verstehen wollen; Spiel und Spaß sind darin einander gleich; Spiel ist eben nur ein Teil dessen, was uns Spaß macht. Die Aufgabe der folgenden Blätter ist es, das Vergnügen zu begreifen, das wir bei den Spielen und durch sie empfinden. Die Thatsache, daß das Spiel uns ein gewisses Vergnügen bereitet, ist jedem bekannt; mit der Erörterung derselben will die Wissenschaft die Spiele weder empfehlen noch verdammen; sie will ihr Wesen und ihre Wirkung nur begreifen. Denn mit der bloßen Thatsache der Erfahrung des Vergnügens, das empfunden wird, ist das Verständnis derselben noch keineswegs gegeben. Der Spiele giebt es sehr viele und sehr verschieden; sind sie alle einander darin gleich, daß sie uns Vergnügen machen, so fragt sich, was ist das Gleiche in ihnen, wodurch sie uns Vergnügen schaffen. Spiele sind Vorgänge, Ereignisse, Thätigkeiten, Übungen meist sehr zusammengesetzter Art: welche Elemente in ihnen und welche Verbindungen von Elementen, wollen wir wissen, ist die Quelle für Lust, die sie uns bereiten. Und diese Lust ist wiederum sehr verschieden; immer Lust, immer anziehend bis zur Leidenschaft, ist doch die Art derselben bei den verschiedenen Spielen sehr verschieden.“ (s. S. 7)

Moritz Lazarus formuliert folgende Forschungsfragen: „Wie viele Arten derselben giebt es? Wie verhalten sie sich zu den anderen Arten des Vergnügens, die das Leben uns bietet? Wie verhalten sie sich zum Ernst des Lebens und ihre Gegenstände zu denen des Ernstes? Oder von der persönlichen Seite gesehen: die Spiele setzen unser Gemüt in Bewegung, beschäftigen unsere leiblichen und geistigen Organe; welche sind es, die in Thätigkeit gesetzt werden, und welche Art von Thätigkeit scheidet oder verbindet Spiel und Ernst?“ (s. S. 8)

Seine Fragen sind bis heute Gegenstand der Spielwissenschaften und allgemein der Ludologie, wenn es um die Spielmotive sowie den Transfer in angrenzende Themenbereiche geht. Gamification, Gameful Design, Game based learning, Spieltherapie und Spielpädagogik nutzen diese Erkenntnisse.

Spiel als Vergnügen

Lazarus konkretisiert den Begriff des „Vergnügens“ in seiner Fragestellung mit dem Hinweis auf seinen Buchtitel, es geht ihm als Psychologen um die „Reize“ des Spiels. „Der Reiz ist eine innere Erregung, welche als solche angenehm ist, während Vergnügen eine angenehme Erregung ist. Wer eine Stunde lang schlechte Karten bekommt oder beim Roulette verliert, beim Schach Zug um Zug hoffnungsloser zurückgedrängt wird, der hat heute wenig Vergnügen vom Spiel; der Reiz desselben läßt nicht nach, ja er steigert sich, im Hasard (Glücksspiel) gewiß, vielleicht auch beim Schach. Zuweilen freilich kann das Mißvergnügen so sehr wachsen, daß es die  Überhand im Gemüt gewinnt und auch der Reiz für diesmal verloren geht.“ (s. S. 9)

Zum Inhalt und Sprachgebrauch des Begriffes Spiel führt Lazarus aus: „Die Thatsachen, welche unter dem Begriff des Spiels gedacht werden, sind zahlreich, mannigfaltig und verwickelt; denn nicht nur sehr vieles und sehr verschiedenes wird als Spiel gedacht, sondern auch aus sehr verschiedenen Gründen wird es als solches aufgefasst. Das Ballspiel, das Klavierspiel und das Schauspiel, sie sind alle Spiele, aber in einem verschiedenen Sinne aus verschiedenen Gründen. Uns drängt sich deshalb zunächst die Frage auf: was ist Spiel? Sofort aber erkennen wir, daß schon diese Frage selbst vieldeutig ist, daß sie mehrere Fragen umfaßt, die alle, jede für sich und alle in Beziehung aufeinander, beantwortet werden müssen, um die Natur des Spiels zu ergründen.“ (s. S. 9)

Der Begriff des Spiels

Der Sprachgebrauch für das Wort „Spiel“ kann treffend und deckend sein, aber auch ungenügend, stellt Lazarus fest. Es wird manches als Spiel benannt, was kein Spiel ist und so kommt nach Lazarus der Wissenschaft zu Aufgabe zu, „dem unbewußt geschaffenen Sprachgebrauch nachzugehen, seinen Sinn zu erforschen aber auch zu berichtigen.“ (s. S. 10).

Dabei weist er besonders auf die Dringlichkeit hin, sich den Sprachgebrauch genau anzusehen, sofern das Phänomen Spiel in anderen Sprachen außer Deutsch beschrieben wird. Den Umfang des Begriffes, was „Spiel“ ist, unabhängig von der Sprache zu erfassen, muss sich dem Wesen, den Inhalten des Begriffes und seines Umfanges nähern.

„Allein wie die sprachliche Bezeichnung ist auch die logische Auffassung der Sprache in verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Völkern verschieden. … Nur daß der Sprachgebrauch von der logischen Strenge ungehemmt, dafür aber, von der Fülle der Erscheinung eindringenden Phantasie geleitet, sich freier bewegt, bald fein und lichtvoll, bald lässig und gleichsam eigenwillig verfährt. Allgemein reizvoll und verwickelt ist es, wie die sachliche und logische Auffassung und die sprachliche Bezeichnung bei den verschiedenen Völkern .sich berührt und durchkreuzt.

Bei den verschiedenen Nationen, und bei denselben zu verschiedenen Zeiten, gab es verschiedene Spiele; der Begriff und der Name wechselt, bald mit dem Namen der Begriff und bald mit dem Begriff der Name. Man kann bekanntlich die Verschiedenheit der Völker und der Kulturepochen aus ihren Spielen erkennen, auch den Wert derselben kann man daran messen. Aber auch da, wo die gleichen Thatsachen sich finden, wo wir dieselben Spiele antreffen, begegnen wir einer tiefgehenden Verschiedenheit in der Auffassung, in dem Einfluß derselben auf das Gemüt, auf das innere Leben. Was hier und dort auf gleiche Weise gehandhabt wird, gilt hier als strenger Ernst, erscheint in sittlicher Würde oder gar als religiöser Dienst, dort als eigentlich Spiel, zum Genuß und zur Kurzweil bestimmt.“ (s. S. 11-12)

Mit der von Lazarus hier 1883 beschrieben Vielfalt des Phänomens Spiel wird deutlich, dass eine Spielwissenschaft, dass die Game-Studies und damit die Ludologie sehr interdisziplinär agieren und forschen müssen. Allein Linguistik, Anthropologie, Geschichte, Theologie, Philosophie und Psychologie werden hier über seine kurze Ausführung adressiert. Lazarus untermauert seine Feststellung mit dem Beispiel aus dem griechischen und jüdischen Kulturraum.

"In der klassischen Zeit z.B. des griechischen und des jüdischen Nationallebens galt dort das Schauspiel, hier der Tanz als eine Art von Gottesdienst, als religiöse Ceremonie; bei uns bilden beide als weltliches Vergnügen den strengsten Gegensatz gegen alles Religiöse, Geistliche." (s. S. 12)

"Die olympischen und sonstigen nationalen Wettkämpfe der Griechen nennen nur wir (sie selbst nicht) "Spiele"; auch die mimische Kunst und selbst die Musik gebrauchen wir, was weder Griechen noch Juden gethan, den Ausdruch Spiel. Die verschiedene sachliche Anschauung drückt sich in der verschiedenen sprachlichen Bezeichnung deutlich genug aus." (s. S. 12)

"Die Deutschen haben zugleich den umfassendsten und den tiefsten Begriff des Spiels auch sprachlich ausgeprägt; indem wir unsere Untersuchung der heutigen Auffassung zuwenden, dürfen wir uns getrost auch dem heutigen Sprachgebrauch anvertrauen, in welchem wir gelegentlich eine ganz außerordentliche Schärfe und Feinheit anmerken werden." (s. S. 12)

Hiermit meint Lazarus, dass die deutsche Semantik in der Lage ist, überaus präzise sprachliche Zuordnungen zu leisten.

 

"Jedes Spiel ist eine Thätigkeit, mit der Absicht unternommen, Lust durch sie zu gewinnen."(s. S. 12-13)

Diese Aussage kann sowohl als faktisch wahr, als auch als treffende Überschrift funktionieren. Wohlgleich im Verlaufe des Spiels noch unzählige andere Faktoren und verschiedene Learnings stattfinden.

 

Modernes Beispiel: Freude und Lust am Spiel. Hier Disc Golf.


"Je nach der verschiedenen Thätigkeit, aus welcher sie bestehen, sind die Spiele verschieden; aber auch ja nach der Lust, welche gesucht wird, kann eine und dieselbe Thätigkeit für die Person verschieden sein; im Wettlauf oder beim Billard trachtet der eine nach dem Sieg, der andere nach dem Preis, ein dritter - und fast alle - nur nach dem Kampf." (s. S. 13)

Spiele können also Zweck in sich selbst finden. Jeder spielt aus einem anderen Grund, manche für den Sieg oder Prestige, andere für das Zusammenfinden oder Unterhaltung, wieder andere möchten ihre Grenzen austesten und der Beste werden. Jede dieser Motivationen verkörpert eine der vielen Facetten der dem Spiel innewohnenden Reize. Im Folgenden werden wir zusammen einen Blick auf den Aufbau und die Struktur seines Werkes werfen. Chronologisch wird Einblick in seine Ideen gegeben und Kerninhalte seiner Arbeit werden benannt, Was ist es denn nun, was uns am Spiele so fasziniert?

 

Moritz Lazarus: "Über die Reize des Spiels" (1883), weiterer kurzer inhaltlicher Überblick

Zu Beginn von Moritz Lazarus' Buch „Über die Reize des Spiels“ legt er den Grundstein für seine Untersuchung über das Wesen und die Attraktivität des Spiels. Das Kapitel ist folgendermaßen aufgebaut:

1. Begründung der Aufgabe

  • Lazarus begründet die Relevanz seiner Untersuchung mit der Beobachtung, dass das Spiel eine fundamentale menschliche Tätigkeit ist, die in jeder Kultur und zu allen Zeiten existiert hat.
  • Er möchte herausfinden, warum das Spiel den Menschen so stark fasziniert und welche psychologischen, sozialen und kulturellen Funktionen es erfüllt.

Weshalb spielt der Mensch? Was ist es, das ihn zum Spiele zieht und treibt, das ihn die Spiele erfinden und ausführen läßt? (s. S. 44)

2. Bestimmung der Aufgabe

  • Die Aufgabe seines Werkes besteht darin, die verschiedenen Reize und Anziehungskräfte des Spiels zu analysieren und das Phänomen in einen größeren psychologischen und philosophischen Kontext zu stellen.
  • Lazarus sieht das Spiel nicht nur als Unterhaltungsform, sondern als eine Tätigkeit, die tiefere Einsichten in die menschliche Natur und ihre Bedürfnisse bietet.

3. Erläuterung der Begriffe an ihren Gegensätzen

  • Um das Spiel präzise zu definieren, stellt Lazarus es Begriffen wie Arbeit, Ernst und Notwendigkeit gegenüber.
  • Diese Gegensätze helfen ihm, das Wesen des Spiels zu schärfen: Während Arbeit oft zweckgebunden und ernsthaft ist, zeichnet sich das Spiel durch Freiwilligkeit, Zweckfreiheit und Freude aus.

Nicht jede Thätigkeit macht uns Vergnügen; um dies sicher zu thun, muß sie vor allem eine freie, von uns selbst gewählte, weder durch ein Naturgesetz bedingte noch durch ein Sittengesetz geforderte sein. Auch das interessanteste Spiel ist eine lästige Arbeit, wenn man dazu gezwungen wird, wenigstens so lange, als man des Zwanges sich bewußt bleibt. (s. S. 51)

4. Die ursprüngliche Bedeutung des „Spiel“ in verschiedenen Sprachen

  • Lazarus untersucht die Ursprünge des Begriffs „Spiel“ in verschiedenen Sprachen, um kulturelle Nuancen und die tiefergehende Bedeutung des Spiels zu verdeutlichen.
    • Deutsch: Hier verweist „Spiel“ auf Beweglichkeit und Lebendigkeit.
    • Griechisch: Das Wort für Spiel betont das Element der Leichtigkeit und der Lebensfreude.
    • Lateinisch: Im Lateinischen wird „Spiel“ mit „ludus“ bezeichnet, was auf eine spielerische Übung und auch auf kulturelle Feste verweist.
    • Hebräisch: Das hebräische Wort legt Wert auf tänzerische, freudige Bewegung.
    • Indisch: In indischen Sprachen ist „Spiel“ oft mit dem göttlichen Spiel verbunden und drückt eine kosmische Harmonie und spirituelle Bedeutung aus.

     

    Diese sprachliche Analyse zeigt, dass das Spiel in vielen Kulturen eine tiefere, oft spirituelle Bedeutung hat, die über bloße Unterhaltung hinausgeht und eine universelle, existenzielle Dimension berührt. Es gibt nicht nur Unterschiede in der Semantik, sondern auch in der allgemeinen Definition des Spiels und im Regelwerk bzw. bei angebrachten Tugenden.

    Die allgemeinen Ursachen des Spiels

    Moritz Lazarus beschreibt im zweiten Kapitel "Die allgemeinen Ursachen des Spiels" den menschlichen Spieltrieb als zentrale Motivation. Dieser Trieb geht über das bloße Streben nach Zeitvertreib hinaus und ist ein Grundbedürfnis, das uns antreibt, uns kreativ und aktiv mit unserer Umgebung auseinanderzusetzen. Spiele helfen Menschen, sich gegen die innere Leere zu beschäftigen und eine Sinnhaftigkeit zu finden, die über die Routine des Alltags hinausgeht. Indem Menschen spielen, erfüllen sie ein Bedürfnis nach Aktivität und geistiger Stimulation, die das Leben bereichert und den Alltag lebendiger erscheinen lässt.

    "Noch unter Schiller faßte den Gedanken des Grundes, weshalb wir spielen, in die Form, weil wir einen Spieltrieb haben. Heißt dies nur soviel, als daß wir von Haus aus ursprünglich eine Neigung zum Spiel haben, so ist wohl die Thatsache richtig, aber sie ist mit der Annahme eines Spieltriebes nicht erklärt, sondern nur wiederholt." (s. S. 44)

    Ein wichtiges Element des Spiels ist das Gefühl der Freiheit, das es ermöglicht, sich selbst zu entfalten und unabhängig von äußeren Zwängen zu agieren. Spielerische Handlungen sind oft frei von Konsequenzen, was Menschen dazu ermutigt, neue Ideen und Fähigkeiten auszuprobieren, ohne Angst vor Fehlern. Dies Freiheitsgefühl ist eng mit den Reizen des Spiels verbunden, da sich Spielende verschiedenen Herausforderungen stellen und gleichzeitig ihre Kreativität und Fantasie ausleben können.

    Lazarus betont zudem die vielfältigen Reize, die Spiele bieten können. Dazu gehören der Reiz des Wettbewerbs, bei dem Menschen ihre Fähigkeiten messen und sich weiterentwickeln können; der Reiz des Zufalls, der Spannung und Überraschung ins Spiel bringt; und der Reiz der Simulation, durch den man in andere Rollen schlüpfen und alternative Wirklichkeiten erleben kann. Diese verschiedenen Reize machen das Spielen zu einem vielschichtigen Erlebnis, das Menschen auf emotionaler, sozialer und intellektueller Ebene anspricht.

    Die drei Gattungen der Spiele und ihre besonderen Reize

    Kapitel 3, Teil A: Die Zufalls- und Verstandesspiele

    Moritz Lazarus thematisiert zu Beginn die "Zufalls- und Verstandesspiele" und analysiert deren besondere Reize. Besonders hebt er dabei den Reiz des Hazards hervor, bei dem der Zufall über den Ausgang entscheidet. Der Reiz des Hazard-Spiels liegt in der Spannung und dem Nervenkitzel, die durch die Unvorhersehbarkeit erzeugt werden. Spieler fühlen sich von der Möglichkeit angezogen, mit einem einzigen, oft riskanten Zug entweder alles zu gewinnen oder alles zu verlieren. Das Hazard-Spiel spricht den Wunsch an, sich dem Unbekannten zu stellen, und liefert einen intensiven Moment der Ungewissheit, der den Spieler für einen kurzen Augenblick von alltäglichen Sorgen entbindet.

    Zeichnung ca. aus dem Jahr 1800 an einem frühen Roulette-Tisch, einem klassischen Hazardspiel

    "Auf der einen Seite also stehe ich, meine Person, für mich also das Allerpersönlichste; auf der anderen das Allerunpersönlichste - der Zufall. Vergleicht man wiederum diesen Seeleninhalt mit dem in allen anderen ernsten Kämpfen oder selbst Kampfspielen, so finden wir, daß überall gegen mein Ich ein anderes, gegen meine Person eine andere, oder mindestens gegen meine Kraft eine andere mir ebenbürtige Kraft steht: hier aber stehe ich als persönliche Kraft und drüben der Zufall." (s. S. 68)

    Im Gegensatz dazu verlangen Verstandesspiele – wie Schach oder strategische Brettspiele – den Spielenden analytisches Denken, Geduld und Geschicklichkeit ab. Hier steht nicht der Zufall, sondern die Kontrolle über die eigene Strategie im Vordergrund. Der Reiz dieser Spiele liegt in der Möglichkeit, die eigene Intelligenz und das strategische Geschick unter Beweis zu stellen. Verstandesspiele bieten eine Herausforderung, die von der Fähigkeit der Spielenden abhängt, Probleme zu lösen und Pläne zu entwickeln, um den Gegner zu überlisten. So fühlen sich Spieler hier vor allem durch den Wettbewerb und die intellektuelle Herausforderung angesprochen. Solche Spiele sind rein und nicht verwerflich, wohingegen er den Zufall bzw. das Schicksal als eine Art „Dunkle Macht“ bezeichnet.

    "Nun aber erhebt sich das Ganze auf eine neue Stufe; nicht gegen eine Karte oder einen Würfel, auch nicht gegen den Mitspieler, sondern gegen jene dunkle Macht, welche entscheidet, tritt der Spieler in den Kampf." (s. S. 73)

    Lazarus jedoch, macht einen großen Unterschied zwischen Begriffen wie Schicksal und Zufall. Begriffe die für uns Interpretationsspielraum lassen, sieht er etwas absoluter.

    "Zufall ist der niedrigste von allen menschlichen Begriffen; Schicksal aber ist der gewaltigste. Zufall ist der niedrigste, denn er ist das von allem Sinn und Verstand, von Ordnung und Gesetz verlassen. Schicksal aber ist das alles Beherrschende, was jenseits über Verstand und Zweck, über Ordnung und Gesetz hinausragt, dem Götter wie Menschen sich beugen." (s. S. 74)

    Lazarus spricht in diesem Zusammenhang von den "zusammenwirkenden Gegensätzen," welche die Reize beider Spielarten miteinander verbinden. Beide Spieltypen – die Zufalls- und die Verstandesspiele – bringen gegensätzliche Elemente zusammen: den Zufall und das Können, das Ungewisse und die Kontrolle. Durch diese Polarität entsteht eine besondere Faszination, da viele Spiele beide Elemente in einem Balanceakt vereinen. Selbst bei Verstandesspielen kann ein unerwarteter Zug oder eine überraschende Wendung Spannung erzeugen, während auch Hazardspiele gelegentlich taktisches Denken erfordern. Diese zusammenwirkenden Gegensätze schaffen einen tiefen Reiz, der das Spiel sowohl unvorhersehbar als auch kontrollierbar macht und das Erlebnis damit für Spieler besonders anziehend gestaltet.

    Kapitel 3, Teil B: Die Übungsspiele

    In diesem Abschnitt analysiert er Übungsspiele und deren besondere Anziehungskraft. Lazarus beschreibt, wie diese Art von Spielen ein erhöhtes Lebensgefühl erzeugen, da sie die körperliche Kraft und den Geist gleichermaßen ansprechen. Durch wiederholtes Training können Spielende ihre Fähigkeiten verbessern und die Kontrolle über ihren Körper und ihre Reflexe steigern. Die dabei erlebte Kraftentfaltung lässt die Spielenden ihre physische Stärke und Geschicklichkeit bewusst wahrnehmen, was ein intensives Gefühl von Vitalität und Lebendigkeit erzeugt.

    "…sowohl Schwierigkeiten überhaupt zu überwinden, als namentlich den geistigen Wettkampf mit dem Gegner zu führen, mit dem Streben und Hoffen, ihn durch Feinheit der Berechnung , durch Glück und Gewandtheit der Kombination, durch Besonnenheit und Ruhe des Gemüts, durch die beflügelt , die Thätigkeit des Gegners bald richtig divinierende, bald geschickt zwingende Phantasie zu überwinden." (s. S. 90)

    Ein weiterer Reiz der Übungsspiele liegt in ihrer Förderung von Freiheit, Kreativität und Fantasie. Oftmals lassen diese Spiele Raum für improvisierte Bewegungen und spontane Ideen, wodurch die Fantasie angesprochen und die Vielfalt an Bewegungsmöglichkeiten ausgenutzt wird. Insbesondere erkennbar ist dies beispielweise beim Teamsportarten, wie z.B. Fußball oder Basketball. Die freien und leichten Bewegungen, die solche Spiele ermöglichen, schaffen ein Gefühl von Unbeschwertheit und Leichtigkeit. Die Spielenden werden beflügelt und ihnen wird eine intensive Freude an der eigenen Körperbeherrschung und Flexibilität bewusst.

    "auch auf dem Gebiete des ernsten, sittlichen, berufsthätigen Lebens wird er (Mensch) von zwei entgegengesetzten Mächten geleitet: Freiheit und Notwendigkeit; er muß dem Schicksal sich beugen und fügen und strebt doch das seine sich zu gestalten…" (s. S. 91)

    Neben Freiheit und Notwendigkeit sind Elemente des Wettkampfes ist in den Übungsspielen von zentraler Bedeutung, da es die Spieler herausfordert, ihre eigenen Grenzen zu testen und sich im direkten Vergleich mit anderen zu messen. Der Wettkampf motiviert die Spielenden dazu, ihre bestmögliche Leistung zu zeigen und sich weiterzuentwickeln. Im Wettkampf liegt auch das Hochgefühl des Sieges, das ein besonders intensives und positives Erlebnis darstellt. Der Sieg vermittelt das Gefühl, Herausforderungen überwunden und eigene Fähigkeiten erfolgreich unter Beweis gestellt zu haben, was das Selbstbewusstsein der Spielenden stärkt. Es gilt lediglich das Übermaß zu vermeiden, da unsere Körper nur bis zu einem bestimmten Punkt strapazierbar sind. Auch für die geistige Gesundheit kann obsessives Trainingsverhalten starke Folgen mit sich bringen.

    Kapitel 3, Teil C: die Schauspiele, insbesondere die Kunst:

    Nun werden Schauspiele und Kunst, sowie ihre besondere Faszination auf den Menschen behandelt. Lazarus beschreibt, wie Kunst und Schauspiele eine Form der passiven Vergnügung darstellen, bei der das Publikum nicht aktiv eingreift, sondern sich von den Darbietungen fesseln und in eine andere Welt entführen lässt. Die Kunst übt eine besondere Anziehungskraft aus, weil sie eine Balance zwischen Schein und Realität herstellt, die es dem Publikum ermöglicht, sich in das Geschehen hineinzuversetzen und doch gleichzeitig eine gewisse Distanz zu bewahren (s. spätere Definition von Konrad Lange (1855-1921) in "Das Wesen der Kunst" von 1901 zur Kunst als "Illusionsspiel").

    Ein wesentlicher Aspekt dieser Faszination liegt darin, dass die Kunst das Spiel zur Schau stellt – sie macht das Spielerische sichtbar und entfaltet vor den Zuschauenden eine Vielfalt an Emotionen, Geschichten und Bildern. Dabei wird das Spiel selbst durch die Kunst veredelt: Im Gegensatz zu einfachen Spielhandlungen verwandelt die Kunst das Spiel in ein ästhetisches Erlebnis, das sowohl geistig als auch emotional anspricht. Die dargestellten Figuren und Ereignisse wirken gleichzeitig real und doch nur als "Schein," als Illusion, die das Publikum genießen kann, ohne vollständig daran zu glauben.

    Dieser feine Übergang zwischen Schein und Realität schafft ein Spannungsfeld, das für die Zuschauer eine intensive Wirkung hat. Indem die Kunst das Publikum dazu bringt, „an die Wirklichkeit zu glauben,“ erzeugt sie ein realistisches Empfinden – wir wissen, dass es ein Schauspiel ist, doch sind wir oft so sehr von den Charakteren und ihrer Geschichte ergriffen, dass wir mit ihnen fühlen und uns einbilden, Teil ihrer Welt zu sein.

    Lazarus hebt dabei die Bedeutung von Komödie und Tragödie hervor, zwei wesentliche Formen, die das menschliche Leben widerspiegeln und es ermöglichen, Freude oder Leid aus sicherer Distanz zu erleben. Die Komödie bietet uns Vergnügen durch humorvolle Darstellung und erleichtert den Umgang mit menschlichen Schwächen, während die Tragödie uns tief bewegt, indem sie Leid und Schicksal in einer Weise zeigt, die das Publikum emotional mitnimmt und lehrt.

    Zusammengefasst entsteht das Spielvergnügen durch Darstellung, indem Kunst und Schauspiele es uns ermöglichen, das Leben in all seinen Facetten zu betrachten und zu erleben, ohne die Konsequenzen tatsächlich tragen zu müssen. Die Kunst hebt damit das Spiel auf eine höhere Ebene, in der sich das Publikum selbst im Spiegel des dargestellten Spiels erkennt und dabei eine tiefe Faszination und Freude am „passiven Mitspielen“ empfindet.

    Moralische Würdigung der Spiele

    Im letzten Teil "Moralische Würdigung der Spiele" setzt sich Moritz Lazarus mit den ethischen Aspekten des Spielens auseinander. Er untersucht, wie Spiele in das ethische System des menschlichen Lebens integriert werden können und welche moralischen Werte sie vermitteln oder infrage stellen. Für Lazarus ist es entscheidend, das Zeitmaß der Spiele zu betrachten: Er betont, dass Spielen nur dann positiv ist, wenn es in einem gesunden Verhältnis zu anderen Tätigkeiten des Lebens steht. Wird zu viel Zeit in Spiele investiert, kann dies zu einem Verlust von Verantwortungsgefühl und Ernsthaftigkeit führen.

    Die Übungsspiele verdienen in diesem moralischen Kontext Lob, da sie die körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Spielenden fördern und sie in kontrolliertem Maße ihre Kräfte entfalten lassen. Gerade für Kinder sind Spiele von großer Bedeutung, denn sie tragen durch die aktive und kreative Auseinandersetzung mit ihrer Umgebung zur Persönlichkeitsentwicklung bei. Spiele der Kinder stärken ihre sozialen und kognitiven Kompetenzen, lehren sie spielerisch Regelverständnis und fördern das Miteinander.

    Lazarus äußert jedoch Bedenken bei Hazard-Spielen, vor allem, wenn diese mit einem hohen Geldeinsatz verbunden sind. Der Reiz von Gewinn und Verlust birgt das Risiko, die Spielenden in eine emotionale Abhängigkeit zu führen, die das rationale Urteilsvermögen beeinträchtigen und zur Spielsucht führen kann. In solchen Fällen kann das Spiel zur moralischen Belastung werden, wenn es aus bloßer Geldgier oder Nervenkitzel betrieben wird. Das Ziel des Spiels verliert sich und weicht einem ungesunden Verlangen nach Gewinn, das nicht mehr der Freude oder Erholung dient.

    Meine Behauptung in der Wette gründet sich nicht auf die Kunst des Erratens, sondern vom Zufall erwarte ich, daß er für die Seite entscheiden wird, auf welche ich gewettet habe. Nicht ob ich den Zufall errate, sondern ob er für mich entscheidet, ist der Fragepunkt. (s. S. 87)

    Nicht nur Gewinn und Verlust, sondern auch wie wir Menschen den Zufall im Spiele betrachten und bewerten, steckt voller Besonderheiten. Spieler würden sich nicht für ein Zufallsereignis entscheiden, sondern sie würden erwarten, dass der Zufall sich für ihre Seite (ihr Schicksal) entscheidet.

    Auch die Schauspiele und die Kunst betrachtet Lazarus kritisch, wenn sie den Zweck der Erbauung und ästhetischen Bildung verfehlen und stattdessen zur bloßen Unterhaltung oder gar Manipulation eingesetzt werden. In solchen Fällen kann die Kunst ihre moralische und kulturelle Aufgabe verfehlen und zur banalen Ablenkung verkümmern.

    Abschließend reflektiert Lazarus das Spiel als wichtige Erholung und Erhebung geistiger Fähigkeiten. Er sieht im Spielen eine wertvolle Möglichkeit, sich körperlich und geistig zu stärken und zugleich Freiraum für Kreativität und soziale Interaktion zu schaffen. In diesem Sinne kann das Spiel eine sinnvolle Ergänzung zum Alltag sein, wenn es im richtigen Maß betrieben und seine Grenzen respektiert werden.

    Fazit

    Lazarus erkennt den tiefen Wert des Spiels als Ausdrucksmittel menschlicher Natur, das sowohl Kreativität als auch soziale Fähigkeiten und intellektuelle Stärke fördert. Von den Übungsspielen, die körperliches Wachstum unterstützen, über die Schauspiele, die durch die Kunst einen ethischen und ästhetischen Gewinn bieten, bis hin zur passiven Faszination, die uns in andere Welten entführt, sieht er das Potenzial des Spiels zur sinnvollen Lebensgestaltung.

    Doch warnt er, dass exzessives Spielen oder solche Spiele, die auf Kosten anderer gehen – etwa durch Glücksspiel oder zu starke Konzentration auf den Gewinn – die moralische Integrität gefährden können. Für Lazarus liegt der wahre Wert des Spiels in der Balance: Es soll Vergnügen bringen, geistige Fähigkeiten fördern und dem Menschen Raum zur Erholung und Inspiration geben. Am wichtigsten ist das Spiel in der Rolle, uns auf echte Herausforderungen vorzubereiten – und natürlich, um uns Spaß und Freunde zu bescheren.