Verleihung der Anerkennungsurkunde im Spielzeugmuseum Nürnberg
Brettspiele haben es als Kulturgut nicht so einfach. Ohne politische Lobby, ohne einen aktiven, wirksamen Verband in Berlin, ohne finanzielle Ausstattung dafür, ist in den vergangegen Jahrzehnten nichts auf bundespolitischer Ebene entstanden, was diesem Kulturgut angemessen Rechnung tragen würde (s. dazu zur Situationsanalyse "Quo vadis Brettspielbranche?").
In einem Vergleich zu den kulturpolitischen Fortschritten der Digitalbranche und ihren Computerspielen, die in Berlin seit ihrer Verbandsfusion zum "game - Verband der Games-Branche" 2018 gut Gehör finden (s. Akteure der Games-Branche unter gamesmap.de), bewegt sich die Brettspielbranche noch nicht genug. Aber mit der in 2019 erfolgten Anerkennung und pandemiebedingt jetzt erst durchgeführten Verleihung und Übergabe, ist ein wichtiger weiterer Schritt für das Kulturgut Spiel erfolgt.
Brettspiele als Immaterielles Kulturerbe der UNESCO
Nach dem Antrag, die "Förderung von Brettspielen" als Immaterielles Kulturerbe anzuerkennen, steht das Spielzeugmuseum nun seit dem 19. Dezember 2019 im "Register Guter Praxisbeispiele" des bayerischen Landesverzeichnisses. Bei einem kleinen Festakt (pandemiebedingt nur wenige Teilnehmer) im aktuell im Umbau befindlichen Spielzeugmuseum Nürnberg, übergab Albert Füracker (CSU), bayerischer Finanz- und Heimatminister, in Anwesenheit von Oberbürgermeister Marcus König (CSU) die Urkunde an Prof. Dr. Karin Falkenberg, Leiterin des Spielzeugmuseums, und Tom Werneck, Leiter des bayersichen Spiele-Archivs in München-Haar, die den Antrag erarbeitet hatten.
Die feierliche Auszeichnung sollte schon vor mehr als einem Jahr auf der Nürnberger Burg stattfinden, musste pandemiebedingt jedoch zweimal verschoben werden. Nach der Urkundenübergabe auf der Baustelle des Spielzeugmuseums im großräumigen Foyer ging es auf den Spielplatz des Museums zur Feier.
Verleihung der UNESCO-Urkunde für das immaterielle Kulturgut "Förderung von Brettspielen" im bayerischen Verzeichnis, am 23.09.2021 v.l.n.r.: Dr. Thomas Eser (Leiter der Museen der Stadt Nürnberg als Vertreter des Deutschen Spielearchivs mit dem Brettspiel "Das Fundament der Ewigkeit"), Tom Werneck (Bayerisches Spielearchiv, Haar bei München, mit dem Wappen zur Anerkennung), Albrecht Füracker (Bayerischer Finanz- und Heimatminister, mit dem Lizenz-Monopoly-Brettspiel für Star-Wars-Fans), Marcus König (Oberbürgermeister Nürnberg, mit dem Brettspiel "Luther - Das Spiel" als Symbol für die "Lutherstadt Nürnberg"), Prof. Dr. Karin Falkenberg (Spielzeugmuseum Nürnberg, mit der Urkunde für die Spielzeugstadt Nürnberg), Scarlet Wisotzky (Spielwarenmesse Nürnberg, mit dem Brettspiel "Acquire"), Prof. Dr. Jens Junge (Institut für Ludologie und International Game Museum Altenburg, mit den zwei Brettspielen "Diplomacy" und "Executive Decision"). Jeder hatte sich "sein" Spiel ausgesucht...
Begrüßung durch Karin Falkenberg als Leiterin des Spielzeugmuseums
Karin Falkenberg begrüßte die Gäste im Foyer des Spielzeugmuseums Nürnberg, das sich gerade in der Umbau- und Entwicklungsphase von einem langjährigen Sammlungsmuseum der 1970er-Jahre hin zu einem modernen "emotionalem Weltmuseum" befindet. Die Welt wird von uns Menschen durch das Spiel begriffen. Bei den uns als Menschheit bevorstehenden globalen Herausforderungen, wird es um so wichtiger sein, Orte des Austausches und des Dialoges zu schaffen, die den dringend notwendigen Veränderungsprozess mit gestalten. In modernen, auf Partizipation ausgerichteten Museen können Impulse gesetzt und Erfahrungsräume inszeniert werden, die andere Institutionen in dieser Form nicht bieten können. Und wenn solche Veränderungen vergnüglich, mit Freude spielerisch begleitet werden, dann erzeugen sie weniger Gegner:innen und Verweigerer:innen sondern Mitmacher:innen und Mitspieler:innen.
Karin Falkenberg machte dem Finanz- und Heimatminister als Zuhörer deutlich, dass der gerade stattfindende Umbau des Erdgeschosses des Spielzeugmuseums bisher ausschließlich nur über privates, bürgerschaftliches Engagement und Erbschaften finanziert wurde, aber das Museum noch drei weitere Stockwerke im Stile der 1970er-Jahre hätte.
Prof. Dr. Karin Falkenberg: Mit dem Spielen die Welt "begreifen" und die Menschen für zukünftig anstehende Veränderungen emotional ansprechen, die neue Aufgabe für ein modernes Spielzeugmuseum
Übergabe der UNESCO-Urkunde durch Albert Füracker
"Von ‚Mensch ärgere Dich nicht‘ über ‚Monopoly‘ bis ‚Die Siedler‘: Brettspiele begeistern Jung und Alt, sorgen für viele fröhliche Stunden und sind mehr als reine Unterhaltung. Sie verbinden Menschen gleich welchen Alters und schaffen Gemeinschaft. Gleichzeitig werden mit Brettspielen wertvolle Grundsätze unseres Zusammenlebens und soziale Verhaltensweisen spielerisch eingeübt. Die lebendige Tradition von Brettspielen in Bayern wollen wir erhalten und sichtbar machen. Mein besonderer Dank geht an alle, die sich in Bayern für die Sammlung, Erforschung und Vermittlung von Brettspielen einsetzen“, so Heimatminister Albert Füracker während seiner Rede zur Verleihung.
Albert Füracker (CSU), bayerischer Finanz- und Heimatminister vor dem neuen Leitspruch des seit 50 Jahren bestehenden Spielzeugmuseums: "Am Anfang war das Spiel"
Link zum Immateriellen Kulturerbe (IKE) der UNESCO, Bayerisches Landesverzeichnis, "Förderung von Brettspielen", seit 2019: HIER.
Auszug aus der Begründung: "Das gemeinsame Spielen mit Brettspielen stellt eine weit verbreitete kulturelle Praxis dar, in der neben der Unterhaltung Regeln eingeübt und vermittelt werden, die auch im Zusammenhang mit sozialen Aushandlungen stehen. Das „Deutsche Spielearchiv Nürnberg“, das „Spielzeugmuseum Nürnberg“ und das „Bayerische Spiele-Archiv Haar“ bemühen sich in herausragender Weise um die Sammlung und Erforschung, aber auch um die Vermittlung von Brettspielen und des dazugehörenden Wissens. Zudem wirken die Einrichtungen als Ideengeber für Brettspielerinnen und -spieler, die sich selbst in einem breiten Spektrum an Formen, etwa in Spieleclubs und Spieleevents organisieren."
Dankesworte vom Oberbürgermeister Macus König
Oberbürgermeister Marcus König (CSU) sagte: "Die Urkundenverleihung ist zugleich eine Auszeichnung Nürnbergs als Spielzeugstadt. Dieses weitere Immaterielle Kulturerbe zeigt überdies, wie vielfältig das kulturelle Erbe der Stadt Nürnberg ist. Neben der ‚Förderung von Brettspielen‘ sind auch die ‚Nürnberger Epitaphienkultur‘, das ‚Wirken der Nürnberger Naturhistorischen Gesellschaft‘ und die ‚Wässerwiesen‘ herausragende Zeugnisse des Immateriellen Kulturerbes. Bayern ist ein Kulturstaat und Nürnberg trägt zu diesem Erbe und kulturellem Reichtum bei – auch ganz spielerisch."
Der Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, Marcus König (CSU), freut sich über die Auszeichnung für die Förderung von Brettspielen in der Spielzeugstadt Nürnberg
Dankesworte von Tom Werneck
Die beiden Initiatoren betrachten die Aufnahme in das Register als wichtigen Schritt, dem Potential, das dem Thema "Spiel" für gesamtgesellschaftliche Veränderungsprozesse innewohnt, Aufmerksamkeit zu schenken. "Im Spiel schaffen wir es, unsere Perspektiven zu verändern, unsere Haltungen zu überdenken und immer wieder aufs Neue mit Optimismus an Herausforderungen heranzugehen. Das Spiel ist unser globales Werkzeug, um gemeinsam Veränderungsprozesse anzustoßen", erklärt Karin Falkenberg.
Das "Register Guter Praxisbeispiele" macht als Teil des bayerischen Landesverzeichnisses innovative und erfolgreiche Projekte sichtbar, die den Grundsätzen und Zielen des Übereinkommens zur Erhaltung Immateriellen Kulturerbes der UNESCO in besonderer Weise entsprechen. Das Verzeichnis zeigt exemplarisch, welche lebendigen kulturellen Traditionen und Ausdrucksformen in Bayern praktiziert und weitergegeben werden. Ziel ist es, die Vielfalt des lebendigen Kulturerbes in Bayern zu erhalten, zu pflegen und zu fördern.
Über Aufnahmen in die Verzeichnisse wird regelmäßig in einem mehrstufigen Verfahren entschieden. Die Erstellung nationaler Register ist eine Verpflichtung aus dem UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes, dem Deutschland 2013 beigetreten ist. Insgesamt wurden in das bayerische "Register Guter Praxisbeispiele" erst sieben Modellprogramme zur Erhaltung Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Die Förderung von Brettspielen durch Spielzeugmuseum, Deutsches Spielearchiv Nürnberg und Bayerisches Spiele-Archiv Haar war der bayernweit vierte Eintrag.
Tom Werneck, Leiter des Bayerischen Spiele-Archivs, Spiele-Rezensent über 50 Jahre und Initiator des "Spiele-Journalisten-Treffs" anläßlich der jährlichen Spielwarenmesse in Nürnberg in den 1970ern, aus dem der Verein "Spiel-des-Jahres" 1978 hervorging
Rundgang und Feierlichkeit auf dem Spielplatz
Nach der Verleihung der Urkunde besichtigte der ausgebildete Landwirt und jetzige Finanz- und Heimatminister Albert Füracker unter der Leitung von Karin Falkenberg den neuen, noch nicht offiziell geöffneten Teil des Museums im Erdgeschoss mit der Spielzeugstadt Nürnberg, hergestellt aus zahlreichen Spielelementen, ein freudiges Wimmelbild in 3D
Rundgang durch den alten Teil des Spielzeugmuseums im Dachgeschoss, wo nur noch bis in die 90er-Jahre aktuelleres Spielzeug im Sammlungsmuseum ergänzt werden könnte und bis heute keine Brettspiele spielerisch für ein Publikum inszeniert werden konnten, weil diese für das öffentliche Museumspublikum nicht zugänglich im Spielearchiv liegen
Die "Macher:innen" des Antrages, v.l.: Prof. Dr. Jens Junge (Gutachter für den Antrag, Institut für Ludologie), Prof. Dr. Karin Falkenberg (Antragsstellerin, Spielzeugmuseum), Tom Werneck (Antragssteller, Bayerisches Spiele-Archiv), Scarlett Wisotzki (in Vertretung zum Gutachter Ernst Kick, Spielwarenmesse Nürnberg), Dr. Thomas Eser (in Vertretung zum Mit-Antragssteller Deutsches Spielearchiv Nürnberg)
Rückblick: 27.04.2019 bei Karin Falkenberg privat in Fürth. Dort haben sich Tom Werneck und Jens Junge eingefunden, um gemeinsam in die Schlussredaktion für den Antrag zur Anerkennung des immateriellen Kulturerbes zur Förderung des Brettspiels zu gehen.
v.l.: Jens Junge, Tom Werneck, Karin Falkenberg in einer der privaten, nächtlichen und wochenendlichen "Redaktionssitzungen" im Endspurt zur Antragsformulierung im April 2019
Das war das Ziel: Die Urkunde! ("So'n Zettel..."):
Urkunde zur Anerkennung der "Förderung des Brettspiels" als Immaterielles Kulturerbe in Bayern, Dezember 2019, pandemiebedingt dann übergeben am 23.09.2021 im Spielzeugmuseum Nürnberg durch den Bayerischen Finanz- und Heimatminister Albert Füracker (CSU)
Fotos vom 23.09.2021, Fotografin: Marie-Theres Graf, Fotografschaft, Erlangen
Update 1: Der Antrag für die Anerkennung der "Deutschen Brettspielkultur" auf Bundesebene wurde von der Initiative Deutsche Brettspielkultur in Thüringen im Herbst 2021 eingereicht. Acht Bewerbungen sind dort eingegangen, so dass die Hoffnung groß ist, unter den vier ausgewählten Initiativen zu sein, die von Thüringen aus auf Bundesebene vorgeschlagen werden. In der Pressemitteilung vom 2. Dezember 2021 der Thüringer Staatskanzlei sind die acht Bewerbungen aufgeführt. Das Brettspiel tritt dort gegen die Thüringer Bratwurstkultur, Brehms Welt, das Fackelbrennen zu Schweina, den Dermbacher Taubenmarkt, die Erfurter Brunnenkresse, die Gartenzwerge von Gräfenroda und die Kindergartenidee von Friedrich Fröbel an. Es heißt also, für das Brettspiel die Daumen drücken, damit es unter die ersten vier kommt ;)
SPIEGEL-Meldung vom 02.12.2021 zu den Anträgen aus Thüringen,
wo es für die Brettspiele um die Wurst geht
Link zur SPIEGEL-Meldung: Hier.
Update 2: Am 5. April 2022 teilt die Thüringer Staatskanzlei der Initiative Deutsche Brettspielkultur mit:
"Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass die Landesjury die Aufnahme Ihrer Bewerbung „Deutsche Brettspielkultur" für die möglichen Verzeichnisse (Bundesweites Verzeichnis und Landesverzeichnis) nicht empfohlen hat. Die Jury hat insbesondere den fehlenden regionalen Bezug kritisiert. Zudem haben sich dem Gremium nicht die Eigenheiten der Kulturform erschlossen."
Trotz der Altenburger Spieletage, dem International Game Museum (Sammlung de Cassan) beim Spielkartenmuseum im Residenzschloss Altenburg etc. wird die "Regionalität" nicht erkannt und generell werden die "Eigenheiten" des Kulturgutes Spiel nicht nachvollzogen, wenn sie doch ausführlich im Antrag geschildert wurde.
Eine ausführliche Begründung der Landesjury Thüringen für die Ablehnung wurde am gleichen Tage erbeten. Anders als in Bayern kamen in Thüringen ausführliche Änderungswünsche für einen erneuten, erbetenen Antrag in 2023, der dann zum Erfolg in 2024 führte: Anerkennung der "Deutschen Brettspielkultur" für das Landesverzeichnis der UNESCO in Thürigen mit entsprechender Empfehlung zur Aufnahme auf die Bundesliste.