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Das Puzzle als Spielzeug

Am 29. Januar ist jedes Jahr, seit 2002, der Weltpuzzletag oder Tag des Puzzles, der vor allem in den USA "gefeiert" wird. Die US-Amerikanerin Jodi Jill hat als Rätsel- und Puzzle-Macherin ihren Geburtstag, den 29. Januar (1971), zum Weltpuzzletag erklärt und die Medien haben diesen Tag dankbar als Anlaß genommen, rund um diesen Tag über das Phänomen Puzzle zu berichten.

Wo kommt das Puzzeln her? Seit wann wird in Europa gepuzzelt? Warum sind Puzzle so beliebt? Was bewirken Puzzle bei uns Menschen?

Weltpuzzletag 29. Januar?

Wie kommt es zu einem Weltpuzzletag (anfangs "National Puzzleday" in den USA)? Die Schriftstellerin Jodi Jill beschreibt die Entstehung so: "Als ich den National Puzzle Day gründete, um Schulkindern kostenlose Rätsel und Puzzles zukommen zu lassen, war es einfach, die Leute zu ermutigen, Rätsel und Puzzle zu genießen, sich eine Minute Zeit zu nehmen, um die Leute zu bewundern, die ihnen Spaß bereiten. Das habe ich geliebt und ich wollte meine Leidenschaft mit anderen teilen! Die Puzzle-Idee begann 2002 mit meinem Eintrag in 'Free Stuff for Kids'. Diese einfache kleine Auflistung stand nun in einem Buch und wurde anschließend überall geteilt, andere Buchautoren und Redakteure von Zeitschriften beschlossen, die Auflistung ebenso zu veröffentlichen."

In Deutschland haben sich auch die Medien (z.B. die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 28.01.2021) des inzwischen internationalen Puzzletages angenommen. Aus diesem Grund wurden wir zur Geschichte dieses Legespiels und Spielzeugs befragt.

Puzzles in der Sammlung des Spielzeugmuseums

In der Sammlung des Spielzeugmuseums sind über 1000 Puzzles, mehrheitlich aus Karton gestanzte Puzzles, aber auch Besonderheiten wie Mosaikspiele, Legespiele, Tangrams, Bilderkuben, Rechenspiele, Vexierspiele, dreidimensionale Puzzles, Geduldspiele, Schiebepuzzles oder geometrische Puzzles. Das größte Puzzle bei den Museen der Stadt Nürnberg ist ein Ravensburger-Puzzles mit 18.000 Teilen. Es ist zusammengebaut und ausgestellt.

Die Puzzles im Spielzeugmuseum stammen vorwiegend aus den Spielzeugregionen Nürnberg und Thüringen. Puzzles wurden auch in Berlin und Sachsen sowie in England und Holland hergestellt. Aus diesen Orten wurden sie in andere europäische Länder und nach Übersee transportiert.

Der Begriff Puzzle

Puzzle ist ein englisches Wort, das Rätsel, schwierige Aufgabe, Verlegenheit, Verwirrung, Ungereimtheit, aber auch Geduldsspiel und Rätselspiel bedeutet. Heute assoziiert man mit dem Begriff Puzzle in Deutschland ein Legespiel, aufbewahrt in einem bedruckten Karton, bei dem einzelne Teile eines Bildes, die auseinandergenommen und gemischt worden sind, wieder zusammengesetzt werden.

Zur Geschichte des Puzzles

In Wikipedia steht zu lesen: Die Idee des Puzzles kommt aus England. Doch das ist zu kurz erklärt. Man muss man genauer hinsehen und nachfragen: Aus welcher der britischen Eroberungen stammt die Idee?

Die Idee des Puzzles kommt aus Asien

Eine Grundidee des Puzzles ist das chinesische Tangram. Es wird in Deutsch auch Geduldsspiel, Siebenbrett oder Siebenschlau genannt. Dabei handelt es sich um ein siebenteiliges Legespiel. Die zu dieser Spiel-Idee gehörende chinesische Legende sagt, dass ein Mönch seinen Schüler beauftragt hat, zu reisen, um die vielfältige Schönheit der Welt auf einer Keramiktafel zu malen. Die Tafel zerbrach aber in sieben Teile und der Schüler konnte sie nicht mehr richtig zusammenlegen. Bei jedem seiner Versuche entstand ein neues Bild. Am Ende verstand der Schüler, dass er gar nicht in die Welt hinausreisen musste, sondern das Tangram ihn lehrte: In jedem Teil des Tangrams steckt die gesamte Schönheit der Welt.

Das Puzzle kommt also eigentlich aus Asien. Die Idee wurde vermutlich während der britischen Kolonialisierungen nach Europa gebracht. In der europäischen Spielzeuggeschichte wird als Ursprungsort des Puzzles England genannt, was in dieser monogenetischen Darstellung historisch nicht korrekt ist, denn auch andernorts in Europa haben sich ähnliche spielerisch-erzieherische Ideen entwickelt, z.B. in Holland. Geert und Betsy Bekkering weisen in ihrem Standardwerk „Stukje voor Stukje“[1] darauf hin, dass es in Holland puzzleähnliche, zerschnittene Landkarten bereits vor 1740 gab. Auch einer der wichtigsten englischen Spieltheoretiker in London, John Wallis (1616 – 1703), behauptete das Puzzle erfunden zu haben. Gute Erfindungen haben oft polygenetische Ursachen.

Vermarktung von Puzzles mit Bildmotiven

Eines der ersten Bildpuzzles kam aus England durch die Idee des Londoner Kartenhändlers und Kupferstechers John Spilsbury (1739 – 1769). Spilsbury hat Anfang der 1760er Jahre handcolorierte Landkarten auf dünne Mahagoni- und Zedernholzbretter geklebt. Entlang der Ländergrenzen hat er sie dann zersägt. Im Spiel musste man versuchen, die Karte wieder richtig und vollständig zusammenzulegen. Ziel seiner Erfindung war die „bessere Unterrichtung der Kinder“. John Spilsbury hat sein Legespiel als „Lehrmittel zur Erleichterung des Erdkundeunterrichts“ verkauft. Im 18. Jahrhundert bemaß sich der soziale Status auch durch Kenntnis und das Wissen über Geografie und die Welt. Nachschlagewerke wurden als Konversationslexika populär, denn man wollte sich über etwas unterhalten können und die Lexika stellten den Status Quo des Wissens dar. Spiele machten und machen Wissen leicht verständlich und begreifbar


Geografie-Puzzle, England und Wales, 1805

Die Puzzles von Spilsbury waren sehr teuer und hatten schnell Konkurrenz. Andere Kupferstecher stellten ebenfalls Puzzles mit anderen lehrreichen Abbildungen – nicht nur Landkarten – sowie technisch perfektere Puzzles her. Der irische Aufklärer Richard Lovell Edgeworth (1744 – 1817) schreibt 1798: „Wer immer mit Kindern zu tun hat, muss feststellen, dass heutzutage nichts mehr ständig gefragt ist als auseinandergeschnittene Karten und Bilder.“ Die Hersteller wählten attraktive Puzzle-Motive für ein breites Publikum, zum Beispiel Szenen aus der Alltagswelt oder Genreszenen.

Die Hersteller stiegen rausch um auf günstigeres, weicheres Holz und Pappe – später auch auf Kunststoff. Die teuren Puzzles gab es weiterhin als Luxusprodukte. Puzzles werden im Spielzeugversandkatalog des Nürnberger Versandhändlers Hieronymus Bestelmeier (1764 – 1829) um 1800 erwähnt. In dieser Quelle sind damit Geduldsspiele, Geschicklichkeitsspiele und Knobelspiele gemeint. Die Puzzleteile waren noch nicht – wie heute – verzahnt. Von den Motiven her waren die europäischen Puzzles kaum voneinander zu unterscheiden. Wesentliche Unterschiede waren die Schnitt-Techniken, die heute häufig Aufschluss über Herkunft und Datierung von Puzzles geben können.

Entscheidend verändert hat sich die Herstellung von Puzzles ab etwa 1870 durch die Erfindung der Jigsaw, der „Wippsäge“ oder Laubsäge. Die Jigsaw ermöglichte es, im Nähmaschinenprinzip kompliziertere Formen, präzisere Puzzle-Nasen und exakte und haltbarere Verzahnungen (englischer Begriff: „interlocking“) zu sägen. Die Puzzleteile werden so ausgesägt, dass sie ineinander verzahnt sind und das Bild hält, die Teile also nicht mehr auseinander rutschen. Bei den früheren Schnitt-Techniken folgten die Schnittkanten den dargestellten Motiven. Weitere Schnitt-Techniken haben folgende Bezeichnungen und Formen: Englisch, Französisch, Deutsch, Earlets, Long Ears, One-by-One, Swastika, Long-Line Angular, Long-Line Rounded oder Crooked Lines.

Der Begriff „Jigsaw-Puzzle“ bürgerte sich im englischsprachigen Raum allgemein für Puzzle-Legespiele ein.


Wippsäge, Stichsäge für die Puzzleproduktion, 1880 (aus Anna Williams, "Cutting a fine Figure", 1996)

Modewellen des Puzzelns

Die Puzzle-Leidenschaft verbreitete sich im 18. Jahrhundert als Spiel-Modewelle über ganz Europa. Puzzles waren überwiegend als Lehrmittel bei Kindern und auch bei Erwachsenen beliebt. Dieser erste Puzzle-Boom dauerte bis etwa in die 1850er Jahre. Eine zweite Puzzle-Modewelle folgte um 1900, initiiert auch durch die neuen Vervielfältigungstechniken wie das maschinelle Stanzen von Karton, das die Herstellung von Puzzles extrem billig und das Spielzeug zum Massenartikel machte.


Kinderpuzzle, vier Motive in einer Kartonschachtel, Deutschland, 1910


Ab dem 19. Jahrhundert begann die Massenproduktion von Pappe[2] für Kartonverpackungen und Boxen. Die vermutlich älteste Kartonbox wurde 1817 in Deutschland für das Strategie-Brettspiel „The Game of Besieging“[3] hergestellt. Ab Anfang des 20. Jahrhunderts begann die Massenproduktion von Puzzles, wie wir sie heute kennen: Die Herstellung ist sehr einfach und sehr preiswert: Ein Bild wird auf Papier gedruckt, auf Pappe geklebt (oder direkt auf Pappe gedruckt) und mit einer Stanze in viele kleine Teile zerlegt. Die vielen kleinen Puzzleteile sind jeweils unterschiedlich. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Puzzles in Lazaretten genutzt, um den durch das Kriegsgeschehen traumatisierten Soldaten spieltherapeutisch zu helfen.

Während der Weltwirtschaftskrise suchten Verlage und Spielzeughersteller nach Möglichkeiten, ihr Zeug zum Spielen einfach und billig herzustellen. Wenig Konsumenten hatten in den 1920er Jahren Geld für teures Spielzeug. In dieser Zeit wurden Puzzles auch in Leihbüchereien verliehen. Hobbybastler stellten selbst Puzzles her und tauschten sie untereinander. Es entstanden regelrechte private Puzzleverleih-Ringe. Die Puzzleteile wurden einfach in Beuteln per Post verschickt. Dieser dritte Puzzle-Boom in Europa dauerte ungefähr bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs.



Mittlerweile sind wir mitten in einer neuen Puzzle-Welle. Der Trend ging schon im Jahr 2019 – also deutlich vor der Coronakrise – hin zum haptischen Spielzeug. Puzzlehersteller melden für 2019 insgesamt 20% Produktionssteigerung im Vergleich zum Jahr 2018. Allein einer der großen Hersteller (Firma Ravensburger) hat 2019 insgesamt 21 Millionen Puzzle in Deutschland verkauft. Bei 83 Millionen Einwohnern in Deutschland hat jeder 4. Einwohner (egal ob Baby oder Oma) innerhalb eines Jahres ein Puzzle gekauft. Im ersten Lockdown stieg der Umsatz bei den Puzzle-Herstellern um über 60%.


Das Puzzle als Spielzeug

Puzzles gibt es von ganz wenigen Teilen (5 – für kleine Kinder) bis zu 10.000 oder (das größte Puzzle der Welt, 2020): 48.000 Teile zum Preis von 400,- Euro.

Alle Menschen weltweit durchlaufen als Kleinkinder diese Phasen des Spielen-Lernens: Exploratives Spiel, Phantasiespiel, Rollenspiel, Konstruktionsspiel und Regelspiel. Puzzles gehören zu den Konstruktionsspielen.

Ziel des Puzzles ist, mit Neugier auf ein verborgenes Ergebnis (oder als Nachahmung eines bereits sichtbaren Bildes auf dem Karton) ein lösbares Rätsel zu lösen, auf. Puzzles – so wie Spiele generell – trainieren und befähigen uns, gewichtigere, vielleicht existentielle Aufgaben zu lösen.

Dass Puzzeln Spaß macht, ist klar, dass man dabei etwas lernen kann, oft weniger. Puzzeln hat durchaus pädagogische Ziele jenseits des sogenannten Zeitvertreibs:

1) Motorische und feinmotorische Tätigkeiten mit kinästhetischer Rückmeldung (Bewegungsempfindung: „Die Hände wissen, was sie tun“)

2) Bildwahrnehmung: Lernen von Zusammenhängen im intensiven, manchmal mehrere Stunden oder Tage dauernden Bild-Betrachten bzw. bei der Bild-Entwicklung durch das Zusammenfügen der Puzzle-Teile

3) Sensibilisierung für Farben, Formen (bei dreidimensionalen Puzzles) sowie für Bildelemente und damit für Zusammenhänge

Mit den Puzzles hängen Mosaiktechniken der Irrgärten und Labyrinthe zusammen. "Ein Labyrinth ist ein System aus Wegen, Linien, ein Rätsel, das nur über einen Suchprozess zu lösen ist, der nicht immer am Anfang eindeutig ist. Als entscheidende Fähigkeit, um das Ziel zu erreichen, gilt die Bereitschaft, durch zahlreiche Richtungswechsel voran zu kommen. Das Muster eines großen Labyrinths ist nicht auf Anhieb zu erkennen und damit auch kein effizienter Lösungsweg. Der Sachverhalt bleibt unüberschaubar. Nur spielerisch, mit ausreichend Neugier, werden die Schwierigkeiten bezwungen."[4]

Somit ist jede Art von Spiel eine „künstliche Herausforderung“, die uns lehrt, das Leben zu meistern. Im Fall von Puzzles: Mit Geduld.

Lösungsansatz für einen ungeduldigen Puzzler... Meme aus den Sozialen Medien.

Link zum Puzzle-Artikel: "So schön sinnlos" aus dem Westermann Monatsheft Nr. 3 / 1985 als PDF (von Joseph von Westphalen)

Link zu Ravensburger: Warum puzzeln glücklich macht.

Schlussbemerkung: Am 29. Januar 2018 entstand der game - Verband der deutschen Games-Branche e.V. in Berlin aus der Fusion zweier Vorläuferverbände (BIU und GAME). Am 29. Januar 1964 wurde der Gründer des Instituts für Ludologie in Flensburg geboren, Jens Junge. Damit ist der 29.01. spielerisch noch viel mehr, als nur der internationale Puzzletag :)

 


[1] Bekkering, Betsy und Geert: Stukje voor Stukje. Amsterdam 1988.

[2] Pappe (aus dem Lateinischen pappare für Brei) sind zusammengeklebte Papier- bzw. Pergamentbögen. Das Verfahren kam seit dem 13. Jahrhundert über China nach Europa. Pappe war vor allem Rohstoff für Spielkarten. Im 17. Jahrhundert verwendeten Buchbinder Pappe für die Bucheinbände.

[3] Groth, Chuck: Exploring Package Design. Thomson Delmar Learing, 2006, S. 7.

[4] Junge, Jens: Die ludologische Perspektive, ein trans- und interdisziplinärer Forschungsansatz. https://www.ludologie.de/spielforschung/spielwissenschaften/ - Stand: 15. Januar 2021.